Institut für Resistenzforschung und Stresstoleranz
Hintergrund: Die Verbreitung des Binkelweizens (Triticum aestivum subsp. compactum; „Binkel“) in Europa (insbesondere im Alpenraum) ist nachweislich etwa zur gleichen Zeit wie Weichweizen und Dinkel. Der Anbau erstreckte sich bis ins 20. Jahrhundert in die Regionen Nordtirol, Süddeutschland, Norditalien, Frankreich und die Schweiz. Scheinbar war Binkelweizen eine speziell an Bergregionen angepasste Weizenunterart, oft mit Anbau in Sortenmischungen. Nach und nach wurde der kleinkörnige Binkel im 19. Jahrhundert von den ertragreicheren Weichweizen- und Dinkelsorten verdrängt, konnte sich aber aufgrund seiner besonderen Eigenschaften in Europa in Bergregionen bis ins 20. Jahrhundert sporadisch behaupten. Von SCHILPEROORD und MAYR liegen Unterlagen für Österreich, die Schweiz und Deutschland vor. Gleichzeitig wurden verschiedene Landrassen von Binkel- und Igelweizen (granniger Binkelweizen) 2021 an Standorten in Deutschland und Österreich in einem 12-monatigen EURegio InterReg-Projekt mit dem Ziel kultiviert, die Machbarkeit für die On-Farm-Erhaltung und Rekultivierung von Binkel in der alpinen Landwirtschaft durch eine Sammlung relevanter agronomischer und qualitativer Daten zu bewerten. Das Saatgut für das Projekt stammt aus österreichischen und deutschen Genbanken und einem lokalen Bestand der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL). Bei einem Feldtag, bei dem ausgewachsene Pflanzen im Freiland begutachtet werden konnten, kam die Frage auf, ob alle kultivierten Akzessionen als „Echter Binkelweizen“ klassifitzziert werden können oder sich einige nur morphologisch ähnlich sind, während genetisch größere Unterschiede auftreten.Anlass: Zur Abgrenzung der „Echter Binkelweizen“-Sorten von anderen Brot-/Weichweizen-Landsorten ist eine genetische Analyse des Erntematerials verbunden mit einer Phänotypbeschreibung erforderlich. Bekannt ist ein dominantes Allel auf dem C (compactum)-Lokus auf Chromosom 2D, das für die charakteristische Ährenmorphologie von Binkelweizen verantwortlich ist. Es handelt sich um eine Mutation, die spontan in T. aestivum auftrat. Da es molekulare Marker für das C-Allel gibt, wäre ein molekularbiologischer Nachweisdes Echten Binkelweizens“ (der Compactum-Unterart) problemlos möglich. Dieser „Identitätsnachweis“ würde der Vermarktung und Rekultivierung durch landwirtschaftliche Betriebe unter dem Label „Slowfood“ helfen. Es ist jedoch nicht klar, welcher genetische Mechanismus im Hintergrund für den Compactum-Phänotyp verantwortlich ist. Darüber hinaus liegen außerhalb des derzeitigen Anbaugebiets keine Daten zur Anbaueignung vor, insbesondere im Hinblick auf Krankheitsresistenz und Toleranz gegenüber abiotischen Stresssituationen. Die agronomischen Versuche im Jahr 2021 wurden von extremen Wetterbedingungen (Sturmregen, Hagel, starke Windböen) beeinträchtigt, die zu starkem Lagern und wahrscheinlich zu Auswuchs führten. Daher werden die Daten aus dem Jahr 2021 für wertvolle Schlussfolgerungen nicht belastbar genug sein und es werden weitere agronomische Daten, d.h. aus zusätzlichen Umwelten, und Inhaltsstoffanalysen benötigt.ECPGR-Ziel 4.4 - Definition der geeignetsten Gebiete/ Standorte für mehr Kulturpflanzenvielfalt diskutiert und umgesetzt: Um dies zu erreichen, ist es wichtig herauszufinden, wo Binkel am besten angebaut werden kann (Boden- und Klimabedingungen) und einige historische Dokumente zu überprüfen, in denen der Anbau von Binkel beschrieben wird. Dazu existieren interessante historische Quellen über hervorragende Resistenz, Toleranz gegenüber Krankheiten (Rost, Tilletia) und Stressanpassung (MAYR, SCHILPEROORD, KWICH). Eine qualitative Analyse der Inhaltsstoffe (Hauptbestandteile, ernährungsphysiologisch vorteilhafte Inhaltsstoffe) ist notwendig, um die am besten geeigneten Akzessionen für weitere Studien (z. B. Eignung für Backwaren) auszuwählen. So kann gezeigt werden, dass die Binkel-Landsorten sehr interessant für Landwirte, Müller und Bäckereien sein können. ECPGR-Ziel 4.4.1 – Förderung einer Einigung über Kriterien für einzigartige Landrassenpopulationen durch Treffen interessierter Ländervertreter: Um die landwirtschaftliche Erhaltung dieser fast ausgestorbenen Weizenunterart in der Alpenregion sicherzustellen, werden Projektpartner in Österreich, Italien, Frankreich, der Schweiz und Deutschland verschiedene Binkel-Landrassen kultivieren, um ihre Anpassung und Eignung an spezifische agrarökologische Umgebungen zu bewerten. Die Eignung für eine erfolgreiche Kultivierung hängt außerdem von der Resistenz/Toleranz gegenüber biotischem Stress (z. B. Pilzpathogene) oder abiotischem Stress (z. B. Frosttoleranz, Trockenstresstoleranz) ab. Binkel-Akzessionen sind in den bestehenden Sammlungen nicht gut beschrieben. Es fehlt an Veröffentlichungen und Kenntnissen über Binkel in Geschichte und Gegenwart. Aufgrund der fehlenden Dokumentation fehlt eine genetische Charakterisierung sowie eine klare Abgrenzung zu anderen Weizen ssp.. Dennoch ist Binkelweizen ein Beispiel für eine ununterbrochene Anbaugeschichte in einer Region mit besonderen bioklimatischen Bedingungen und einer angepassten kleinbäuerlichen Landwirtschaft. Daher soll die genetische Verwnadtschaft geklärt, Resistenz-/Toleranz- und Nutzungspotentiale für die moderne Züchtung evaluiert sowie Anbau und der Verarbeitung als hervorragendes regionales Produkt gefördert werden.Beteiligte Partner: Die LfL Bayern und die Genbank Tirol haben im InterReg-Projekt zusammengearbeitet und sind zu dem Schluss gekommen, dass für die Rekultivierung von Binkel weitere Forschungen erforderlich sind, insbesondere um die genetische Zugehörigkeit der Akzessionen zum genetischen Pool der Binkel-Landsorten verlässlich zu bestimmen. Auch das Forschungszentrum Laimburg in Norditalien verfügt über gute Kenntnisse im Anbau von speziellen Weizenakzessionen und alle Institutionen, die Partner des Projekts sein werden, werden entsprechende Erfahrungen sammeln. INRA aus Frankreich wird eine zusätzliche Sammlung von Binkelweizenakzessionen für die Beschreibung des Phänotyps, Feldversuche und genetische Analysen bereitstellen. Darüber hinaus werden weitere Zugänge aus der Schweizerischen Nationalsammlung (Agroscope) evaluiert. Die schweizer Wissenschaftler verfügen über ein beachtliches Wissen über Getreideakzessionen der Alpenregion (P. Schilperoord, Plantahof) und bieten an, die Erfahrung im Projekt zu teilen. Der VERN (Verein zur Erhaltung und Rekultivierung von Nutzpflanzen) erhält seit Jahren mehrere Binkel-Landsorten in seinem Erhaltungssortiment und verfügt über ein breites Netzwerk von Mitgliedsbetrieben, das sich über ganz Deutschland erstreckt. (4.4.2 AG Erhaltung und Bewirtschaftung auf landwirtschaftlichen Betrieben mit geeigneten nationalen Interessenvertretern und Behörden). Das Julius Kühn-Institut, Institut für Resistenzforschung und Stresstoleranz, Quedlinburg verfügt über langjährige Erfahrung in der Bewertung pflanzengenetischer Ressourcen, Kultivierung und Vermehrung von Krankheitserregern für Experimente, Feldversuchen und Tests unter abiotischen und biotischen Stresssituationen (z.B. durch Inokulation von Krankheitserreger) insbesondere von Weizen.Methodik: Die im Jahr 2021 erzielten Ergebnisse (insbesondere zu den Wachstumsparametern und der Qualität) müssen durch Wiederholung und Ausweitung des Anbaus der Akzessionen verifiziert werden. Daher werden die Akzessionen an den jeweiligen Standorten der verschiedenen am Projekt beteiligten Partner (Genbank Tirol, Forschungszentrum Laimburg, LfL und insbesondere zur Verarbeitungsnutzung auch bei VERN in Norddeutschland) angebaut. Das INRA wird 2023 auch Clubweizen-Akzessionen aus der eigenen Sammlung für die Phänotypbeschreibung und Feldversuche nutzen. ECPGR-Ziel 4.3 – Bewährte Praktiken für das On-Farm-Management und die Erhaltung und Förderung der Anbaubedeutung: Um wertvollere und vergleichbarere Daten zu Wachstum und Ertrag zu erhalten, werden T. aestivum subsp. compactum-Akzessionen und einige verbreitete T. aestivum-Landrassen an allen Standorten in den Jahren 2022 und 2023 angebaut. Der Aufwuchs wird kontrolliert und relevante Wachstums- und Nacherntedaten sowie potenziell Resistenzen (gegen Insekten oder Pilze) dokumentiert. ECPGR-Ziel 4.5 – Hindernisse für die Erhaltung und Bewirtschaftung im landwirtschaftlichen Betrieb analysiert und Lösungen vorgeschlagen: Dadurch kann auch evaluiert werden, ob es Regionen gibt, die für das Wachstum von T. aestivum subsp. compactum und Empfehlungen für die Kultivierung geeignet sind. Diese Daten stehen interessierten Landwirten, Müllern und anderen Verarbeitern zur Verfügung.ECPGR-Ziel 4.4.1 – durch Treffen interessierter Ländervertreter, Förderung der Einigung auf Kriterien für die Definition von MAPAs, die einzigartige Landrassenpopulationen enthalten: Die Partner des Projekts werden in häufigem Austausch sein (in Online-Meetings und durch Besichtigung der Feldbesuche an verschiedenen Standorten), um ihre gegenseitigen Erfahrungen beim Anbau der Clubweizen-Akzessionen auszutauschen und zu vergleichen. Proben aus den Experimenten 2022 werden zur genetischen Analyse an einen externen Dienstleister (durch Ausschreibung) unter Federführung des JKI geschickt. Da es sich bei Binkel-Landrassen wahrscheinlich um heterogene Populationen handelt, muss mehr als 1 Probe pro Sorte analysiert werden, um die Spannweite der genetischen Heterogenität abzudecken. Mitglieder von VERN werden Teil eines Sortenauswahlverfahrens sein, das jährlich an den Projektstandorten durchgeführt wird.ECPGR-Ziel 4.4.2/3 – On-Farm-Erhaltung und -Management Arbeitsgruppe mit geeigneten nationalen Interessenvertretern und Behörden: Die Projektpartner werden sich an jedem Standort treffen, um Erfahrungen zum Anbau der Landrassen auszutauschen. ECPGR-Ziel 4.3.1 – Bereitstellung von Wissen und evidenzbasierten Praktiken in Bezug auf erfolgreiche Erfahrungen mit der Erhaltung und nachhaltigen Nutzung von Landrassen und anderen heterogenen genetischen Ressourcen in Europa: Backqualität und relevante qualitative Daten werden von einem geeigneten Labor bestimmt (externer Dienstleister, zu ermitteln durch Ausschreibung, auch von VERN intern angeboten). Es werden Bäcker kontaktiert und von diesen 3 – 5 interessierte zum Probebacken ausgewählt. Resistenz gegenüber biotischen Stressoren wird in Gewächshaus- und Freilandversuchen gegenüber Rost, Echten Mehltau, Fusarium geprüft. Am JKI sind Untersuchungen zur Resistenz gegenüber Zymoseptoria tritici und Tilletia mit ausgewählten Genotypen (basierend auf dem typischen Binkelweizen-Phänotyp) vorgesehen. Die zehn resistentesten Genotypen gegen beide Krankheiten werden ausgewählt und mit einem Plant-Array auf ihre Trockenstresstoleranz getestet. Mit diesem Ansatz wird die maximale Wasserhaltekapazität auf 70 % und auf 10 % über einen Zeitraum von drei Monaten nach der Keimung eingestellt. Beschreibung des genetischen Materials: Das genetische Material von ca. 22 Binkel- und Igelweizen (T. aestivum subsp. compactum) Landrassen wird von der Genbank Tirol, der LfL und VERN zur Verfügung gestellt. Es ist Teil einer Feldsammlung von Binkel. Mindestens 20 ausgewählte weit verbreitete T. aestivum-Landrassen aus dem bayerischen und österreichischen Genpool werden als Kontrollen hinzugefügt, um sie in einer molekularen Analyse zu untersuchen. Sie werden genetisch analysiert, um zu unterscheiden, ob die ausgewählten Akzessionen zur eigenständigen Unterart BInkelweizen (Triticum aestivum subsp. compactum ; „Binkel“) gezählt werden können oder genetisch zum Weichweizenpool gehören. Auswahl von voraussichtlich 20 Proben für eine detaillierte genetische Charakterisierung (SNP-Marker-techn.) ergibt sich aus Schlagbeschreibung und Phänotypauswertung 2022. Zusätzlich werden aus der angebotenen Sammlung von Agroscope, Schweiz und INRA, Frankreich ca. 23 Akzessionen selektiert nach Herkunft.
Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft