(Braunschweig) Wie lassen sich Ertragssicherung, Biodiversität und gesellschaftliche wie ökonomische Erwartungen miteinander vereinbaren? Unter dem Motto „Pflanzenschutz im System denken“ kamen am 8. Oktober 2025 rund 1.100 Fachleute aus Wissenschaft, Praxis, Beratung und Politik zur Plenarveranstaltung der 64. Deutschen Pflanzenschutztagung an der Technischen Universität Braunschweig zusammen. Die Tagung wird traditionell gemeinsam vom Julius Kühn-Institut (JKI), Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen, der Deutschen Phytomedizinischen Gesellschaft e. V., der Landwirtschaftskammer Niedersachsen (Pflanzenschutzamt) und in diesem Jahr mit der TU Braunschweig als lokalem Gastgeber ausgerichtet.
Moderiert von Johannes Kaufmann (Braunschweiger Zeitung) beleuchteten vier Impulsvorträge die Herausforderungen und Chancen eines Pflanzenschutzes, der ökologische, ökonomische und soziale Faktoren gleichermaßen berücksichtigt.
„Systemisch denken heißt, Zusammenhänge erkennen und Vielfalt nutzen“, betonte Dr. Hella Kehlenbeck vom JKI-Institut für Strategien und Folgenabschätzung. Nur wenn Pflanzenschutz als Teil eines komplexen landwirtschaftlichen Gesamtsystems verstanden werde, könne er nachhaltig wirken. Sie plädierte für einen ganzheitlichen Systemansatz auf Betriebsebene, der agrarökologische Prinzipien, neue Techniken und Wissenstransfer vereint. „Zentrale Elemente seien resistente Sorten, integrierte Verfahren und praxisnahe Forschung mit Landwirten für Landwirte“.
Prof. Dr. Dr. Urs Niggli, Präsident des Schweizer Instituts für Agrarökologie und ehemaliger Direktor des Forschungsinstituts für biologischen Landbau (FiBL), warb in seinem Beitrag für eine Weiterentwicklung der Agrarökologie als wissenschaftlich fundierte Leitidee. „Agrarökologie ist kein Gegenmodell, sondern ein integrativer Ansatz für die Landwirtschaft der Zukunft“, sagte Niggli. Ökologische Anbausysteme könnten wertvolle Beiträge zu Klimaschutz, Bodenfruchtbarkeit und Biodiversität leisten, stoßen jedoch an Grenzen, wenn Ertragsstabilität oder Nährstoffkreisläufe nicht gesichert sind. Neue Züchtungsmethoden und der gezielte Einsatz sogenannter Biologicals böten hier Potenziale, um ökologische und konventionelle Ansätze stärker zu verbinden.
Auch Dr. Lothar Hövelmann, Hauptgeschäftsführer der DLG e. V., rief dazu auf, die Produktivität der Landwirtschaft neu zu definieren: „Nachhaltige Produktivitätssteigerung heißt, Erträge zu sichern und gleichzeitig Umwelt und Ressourcen zu schützen.“ Integrierter Pflanzenschutz bleibe dafür die Basis, mit vorbeugenden Maßnahmen, Prognosesystemen und intelligent kombinierten biologischen, mechanischen und chemischen Verfahren. Der Rückgang zugelassener Wirkstoffe in Europa führe zu wachsenden Risiken für Anbauer, so Hövelmann. „Wir brauchen Innovation - von Smart-Spraying bis Genom-Editierung.“
Wie Biodiversität konkret in die Praxis integriert werden kann, zeigte Dipl.-Ing. Maximilian Hardegg vom österreichischen landwirtschaftlichen Familienbetrieb Gut Hardegg. Auf 2.200 Hektar setzt er auf ein „4-Säulen-Modell“ der wildtierfreundlichen Landwirtschaft: Fütterung, Lebensraumgestaltung, Betreuung und professionelle Jagd. „Artenvielfalt ist unsere ökologische Lebensversicherung“, sagte Hardegg. Studien aus Niederösterreich zeigten, dass die Mehrheit der Bevölkerung biodiversitätsfördernde Maßnahmen der Landwirte ausdrücklich unterstützt.