Zum Inhalt springen
Zur Hauptnavigation springen
Gehe zur Startseite des Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen.
Suche öffnen
Gehe zur Startseite des Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen.
Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen

Navigation

OW
Institut für Pflanzenschutz in Obst- und Weinbau

Im September begeht das JKI in zwei wissenschaftlichen Kolloquien und einem Tag der Offenen Tür in Dossenheim 100 Jahre institutionellen Pflanzenschutz in Obst- und Weinbau. Zum Jubiläum wurde eine Sonderseite auf der Website des JKI eingerichtet.

Über Geschichte und Zukunft ihres Faches sprach JKI-Pressereferent Johannes Kaufmann mit dem Leiter des JKI-Fachinstituts für Pflanzenschutz in Obst- und Weinbau, Professor Dr. Wilhelm Jelkmann, und seinem Stellvertreter, dem Weinbauexperten Dr. Michael Maixner.

1921 wurden das Institut für Obstschädlinge und die Zweigstelle für Weinbau der Biologischen Reichsanstalt gegründet. Was war der Auslöser dafür?

Jelkmann: Anlass für unsere Feier ist, dass 1921 zufällig parallel ein Pflanzenschutzinstitut im Obstbau in Stade und eines für den Weinbau an der Mosel gegründet wurden. Sie sind die Vorgängereinrichtungen unseres JKI-Instituts für Pflanzenschutz in Obst- und Weinbau.

Maixner: Ende des 19. Jahrhunderts wurden die auch heute noch relevanten Hauptschädlinge im Weinbau eingeschleppt: der Echte Mehltau, der Falsche Mehltau und die Reblaus. Die beiden Pilze waren damals so schwer zu bekämpfen, dass der Weinbau stark gefährdet war. Die Reblaus spielte zu jener Zeit an der Mosel keine Rolle, weil die Region nicht betroffen war. Im Sommer 1921 wurde dann die Zweigstelle der Biologischen Reichsanstalt für den Weinbau gegründet.

Gab es im Obstbau damals ähnlich drängende Probleme?

Jelkmann: In der Folge des Ersten Weltkriegs gab es einige Missernten. Neben vielen abiotischen Ursachen waren als wichtigste Schadorganismen dafür ein Pilz und ein Insekt verantwortlich: der Apfelschorf, der bis heute eine wichtige Rolle spielt, und der Apfelwickler, der uns ebenfalls erhalten geblieben ist.

Was sind die wichtigsten Meilensteine dieses vergangenen Jahrhunderts?

Jelkmann: Am Anfang ging es vor allem darum, die Krankheiten genau zu beschreiben, um sie bekämpfen und so die Ernte sichern zu können. Die Suche nach Pflanzenschutzmittel hatte eine große Bedeutung, die auch weiter zunahm. Ein Meilenstein war die Entwicklung des Pflanzenschutzgesetzes, das nicht nur die Bekämpfung der Krankheiten in den Blick nahm, sondern auch die menschliche Gesundheit in den Mittelpunkt stellte und später die Umweltauswirkungen. Gerade in den Dauerkulturen Obst und Wein war dann der Integrierte Pflanzenschutz eine bedeutsame Entwicklung, später kam der ökologische Landbau hinzu. Damit rückten auch immer mehr Fragen der Biodiversität in den Fokus. Zudem ist die Vielfalt der identifizierten Erreger stark gewachsen, unter anderem mit den Viren, Phytoplasmen und Viroiden, die 1921 noch gar nicht bekannt waren.

Die Erreger waren nicht bekannt, aber die Krankheiten haben doch vermutlich schon existiert.

Jelkmann: Zum Teil. Das Scharka-Virus etwa, das bei uns Zwetschgen befällt, hat sich erst ab den 1950er Jahren in Europa ausgebreitet und war vorher nicht bekannt. Den Feuerbrand gab es auch schon vor 150 Jahren, zumindest in den USA. Erst 1973 ist das Bakterium erstmals an der Ostseeküste aufgetaucht. Vor allem in den 1990er und 2000er Jahren hat uns die Krankheit sehr beschäftigt.

Maixner: Natürlich existierten die Viren im Weinbau schon. Man hat sie aber nicht als Infektionskrankheit, sondern als Ernährungsstörung betrachtet. Die Schwarzholzkrankheit, eine Phytoplasmose, wurde von unserem Vorgänger-Institut in der 1930er Jahren erstmals beschrieben – ebenfalls als Ernährungsstörung. Solche Ernährungsfragen waren damals einer der Schwerpunkte des Instituts, selbst wenn es eigentlich um „Rebfeinde“ ging.
Ein Meilenstein ist die Einrichtung des Rebschutzdienstes, ebenfalls in den 1930er Jahren. Heute obliegt diese Aufgabe den Ländern, aber die Strukturen und Vorgehensweisen mit Vertrauensleuten und regelmäßigen Wetterbeobachtungen, aus denen Empfehlungen für die Pflanzenschutzpraxis abgeleitet werden, wurden bei uns entwickelt. Hinzu kamen Fortschritte im chemischen Pflanzenschutz. Ein Paradebeispiel ist Nirosan, welches als wirksames Insektizid zum Verbot der hochgiftigen und krebserregenden Arsenverbindungen geführt hat. Im Zuge des bereits erwähnten Integrierten Pflanzenschutzes war unser Institut an der Entwicklung des Pheromonverwirrungsverfahrens gegen Traubenwickler beteiligt. Zudem wurde erkannt, dass der Schutz von Raubmilben wiederum den Befall mit Spinnmilben reduziert. Beides zusammen hat dazu geführt, dass der Weinbau in Deutschland heute weitestgehend frei ist von Insektiziden und Akariziden.

Jelkmann: Das ist im Apfelanbau ähnlich, auch wenn er nicht ganz ohne Insektizide auskommt. Die Paarungsstörung über Sexualhormone funktioniert auch beim Apfelwickler. Und seit Raubmilben geschont werden, müssen Spinnmilben nicht mehr bekämpft werden.

Wo sehen Sie sich in der Tradition Ihrer Vorgänger von vor 100 Jahren, und wo sehen Sie Umbrüche?

Maixner: Ein wesentlicher Unterschied ist, dass wir viel bessere Werkzeuge zur Hand haben. Viren können wir erst seit Erfindung des Elektronenmikroskops wirklich untersuchen. Wir verfügen über molekularbiologische Methoden, die uns bei Diagnostik, Charakterisierung von Pathogenen und Epidemiologie viel mehr Möglichkeiten eröffnen als unseren Vorgängern. Was uns verbindet, sind der Blick über den Tellerrand und die internationale Vernetzung.

Jelkmann: Die Arbeiten früher waren häufig sehr anwendungsnah. Von diesen Aufgaben ist ein Großteil in andere Hände gegeben worden, wie das angesprochene Beispiel des Rebschutzdienstes zeigt. Allerdings hatten unsere Vorgänger wie auch wir den weißen Kittel an. Ein wesentlicher Unterschied ist, dass sich die Zahl der nachgewiesenen und biologisch charakterisierten Erreger potenziert hat. Dies ist besonders den uns heute zur Verfügung stehenden Methoden der Molekularbiologie zu verdanken.

Warum wurden die so lange getrennten Bereiche Obst- und Weinbau 2008 zusammengelegt? War das eine richtige Entscheidung?

Jelkmann: Fachlich ergibt es auf jeden Fall Sinn, die Arbeit an Pathogenen an holzigen Arten in Dauerkulturen zu verbinden. Beispiele wie die Kirschessigfliege zeigen, das Obst- und Weinbau zum Teil auch von denselben Problemen betroffen sind. Außerdem werden unsere Ressourcen, personell wie technisch, so effizienter genutzt.

Stehen Obst- und Weinbau also vor ähnlichen Herausforderungen?

Maixner: Durchaus. Weil es Dauerkulturen sind, ist die Qualität des Pflanzguts von ausschlaggebender Bedeutung für beide Kulturen. Eine Rebe soll mindestens 25 Jahre und ein Apfelbaum mindestens 15 Jahre produktiv bleiben, und dafür müssen sie beim Auspflanzen gesund sein.

Welches sind derzeit die wichtigsten Themen im Obst- und Weinbau?

Jelkmann: Das sind weiterhin die angesprochenen Wickler-Arten. Hinzu kommen Pilzerkrankungen – Peronospora im Weinbau, Apfelschorf beim Obst. Phytoplasmen spielen eine immer größere Rolle. Die gibt es auch im Garten- oder Ackerbau, aber von herausragender Bedeutung sind sie in unseren Dauerkulturen. Invasive Arten wie die Kirschessigfliege oder Xylella fastidiosa werden zunehmend relevant. Da betreiben wir viel Vorlaufforschung, etwa zur Übertragung über Vektoren.

Maixner: Einige der Themen unserer Vorgänger wie der Mehltau sind Dauerbrenner. Im ökologischen Weinbau geht es dabei vor allem um die Reduzierung des Kupfereinsatzes. Hier gibt es Parallelen zur Bekämpfung des Apfelschorfs im ökologischen Obstbau. Aktuell bereitet aber die Esca-Krankheit den Winzern die größten Probleme. Diese holzzerstörenden Pilze breiten sich immer weiter aus, und es fehlen nach wie vor wirksame Mittel dagegen. Darüber hinaus beschäftigen wir uns viel mit epidemiologischen Aspekten von Phytoplasmosen wie Flavescence dorée und Apfeltriebsucht. Da geht es um Monitoring, automatisierten Nachweis und die Frage, wie sich Übertragungen vermeiden lassen. Ein weiterer Schwerpunkt ist die funktionelle Biodiversität, also die Förderung von Nützlingen, und der Einfluss von Landschaftsstrukturen und Bewirtschaftungsstrategien darauf.

Einerseits nimmt die Zahl der Pathogene auch im Zuge des Klimawandels zu, andererseits gibt es den gesellschaftlichen Druck, synthetischen Pflanzenschutz zu reduzieren. Wie lässt sich das in Einklang bringen? Wird die Resistenzzüchtung wichtiger?

Jelkmann: Ja, die höheren Temperaturen begünstigen Vektoren wie Schildläuse und erhöhen damit den Krankheitsdruck. Wir untersuchen, wo Insekten und Pathogene aufeinandertreffen, um Wege gegen die Ausbreitung von Krankheiten zu finden. Auch die Gesundheit der Pflanzen ist von großer Bedeutung, also die phytosanitäre Qualität des Anbaumaterials. Resistente Sorten spielen natürlich auch eine Rolle. Aber die Züchtung muss sich auf einige Kernprobleme konzentrieren, während wir uns mit der ganzen Breite der Krankheiten beschäftigen. Entsprechend nehmen wir verstärkt auch die Kulturführung in den Blick, etwa die Abstände zwischen Obstbäumen oder der Blattschnitt. Im Obstbau gibt es neue Anbausysteme wie Überdachung bei Kirschen oder das Einnetzen von Beerenobst gegen die Kirschessigfliege. Großes Potenzial hat auch die chemische Ökologie, also der Einsatz von Lock- und Botenstoffen, die der Kommunikation zwischen den Arten dienen. Allerdings ist die Anwendung hier sehr kompliziert.

Maixner: Pilzwiderstandsfähige Rebsorten (PIWI) werden ja am JKI gezüchtet. Wir entwickeln dazu die Pflanzenschutzstrategien, denn ganz ohne kommen diese Sorten auch nicht aus, auch wenn sie erhebliche Einsparungen von Pflanzenschutzmitteln ermöglichen. Wenn der ökologische Weinbau vom Kupfer wegkommen will, geht es nicht ohne solche PIWI. Bei der Quarantänekrankheit Flavescence dorée ist aber die Bekämpfung der Vektoren unabdingbar. Da kann der gezielte Einsatz von Insektiziden notwendig sein, um ein großes Risiko für den gesamten Weinbau zu minimieren.

Jelkmann: Im Weinbau arbeiten wir eng mit unseren Rebenzüchtern in Siebeldingen zusammen. Im Obstbau ist es mit unseren Obstzüchtern in Dresden-Pillnitz genauso. Da geht es vor allem um die Resistenz gegen Apfelschorf und Feuerbrand. Zum Beispiel prüfen wir in unserer Anlage in Kirschgartshausen in ca. 30 km Entfernung vom Institut in einer rein ackerbaulichen Umgebung die Resistenzeigenschaften von Neuzüchtungen.

Bringt der Klimawandel neben neuen Erregern auch neue Kulturen zu uns? Bauen wir bald vermehrt Aprikosen an?

Maixner: Neue Sorten sind durchaus denkbar, aber gravierend dürfte sich das Spektrum nicht ändern. Bisher hat der Weinbau bei uns profitiert vom Klimawandel. Jahrgänge, in denen der Wein kaum zu vermarkten war, gehören der Vergangenheit an. Und es gibt auch noch Anpassungsmöglichkeiten: andere Flächen mit anderem Kleinklima, weinbauliche Strategien. Aber natürlich kann es Auswirkungen auf die Qualität geben. Unsere Weine sind gekennzeichnet durch einen fruchtigen Charakter und wenig Alkohol. Mit zunehmender Sonnenscheindauer steigt der Zuckergehalt in der Traube und damit auch der Alkoholgehalt im Wein.

Jelkmann: Die Bedeutung von Beerenobst nimmt zu in Deutschland. Das gilt zum Beispiel für Heidelbeeren. Bei der Anpassung spielt die Anfälligkeit von Sorten gegenüber Krankheiten und Schädlingen eine große Rolle und natürlich die Kulturführung und technische Maßnahmen wie Netze, Überdachungen oder Tunnelanbau. Der Erfolg solcher Kulturtechniken wird maßgeblich mit über Veränderungen im Anbau von Obstarten entscheiden.

Wir haben 100 Jahre zurückgeblickt. Wo stehen Obst- und Weinbau in Deutschland 100 Jahre in der Zukunft?

Maixner: Viele der bekannten Krankheiten werden auch dann noch eine Rolle spielen. Es wird sicher mehr resistente Sorten geben. Die Entwicklung zeigt, dass immer wieder neue Erreger auftreten. Ich kann nicht sagen, welche es sein werden, aber dass das unsere Nachfolger beschäftigen wird, daran habe ich keinen Zweifel.

Jelkmann: Die Genetik und ein noch detaillierterer Einblick in das Zusammenspiel von Kultur und Krankheitserreger werden wichtiger werden. Neue Züchtungsmethoden werden, sofern sie eingesetzt werden können, beschleunigt Erfolge bringen. Aber auch in 100 Jahren wird es noch genügend Probleme geben. Bei Pflanzenschutz und Pflanzengesundheit wird unseren Nachfolgern die Arbeit garantiert nicht ausgehen.