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Institut für Resistenzforschung und Stresstoleranz

Seit einigen Jahren koordiniert das JKI die Einrichtung von genetischen Erhaltungsgebieten für Wildsellerie in ganz Deutschland. Dabei geht es um die Sicherung wertvoller genetischer Ressourcen für die Zukunft von Ernährung und Landwirtschaft. Am JKI wurde dazu eine Fachstelle Wildsellerie eingerichtet, besetzt von Maria Bönisch und Dr. Nadine Bernhard vom Fachinstitut für Resistenzforschung und Stresstoleranz. Mit den Wissenschaftlerinnen, die zudem die Kontaktstelle „Genetische Ressourcen – Nagoya“ am JKI betreuen, sprach JKI-Pressereferent Johannes Kaufmann.

Warum gibt es eine Fachstelle Wildsellerie am Julius Kühn-Institut?

Maria Bönisch: Von 2015 bis 2019 lief bei uns ein Modell- und Demonstrationsvorhaben, in dem die Erhaltungstechnik „Genetisches Erhaltungsgebiet“ erstmals getestet wurde. Dabei hat sich gezeigt, dass das von uns aufgebaute Netzwerk von Erhaltungsgebieten auch langfristig gepflegt werden muss. Wir halten die Kommunikation zwischen den Beteiligten aufrecht und bauen dieses Netzwerk weiter aus.  Ursprüngliches Ziel war, etwa 50 genetische Erhaltungsgebiete einzurichten. Derzeit stehen wir bei 20. Es gibt also noch viel zu tun.

Was sind denn die Lehren aus diesem Pilotprojekt, die ganz grundsätzlich auf genetische Erhaltungsgebiete übertragen werden können?

Bönisch: Wir haben ein Verfahren erprobt, um solche Gebiete einzurichten: Wie werden geeignete Flächen identifiziert? Welche Akteure müssen einbezogen werden, und wie macht man das am besten? Da ist viel Kommunikation nötig – um zu informieren und zu überzeugen. Am Ende des Prozesses steht eine von Flächenbesitzern und -pächtern unterzeichnete Einverständniserklärung mit der dann ein genetisches Erhaltungsgebiet formal eingerichtet ist. Diese Erklärung mussten wir erst einmal gemeinsam mit dem Justiziariat am JKI entwickeln. Für genetische Erhaltungsgebiete gab es so etwas in Deutschland und auch in Europa noch nicht.

Dr. Nadine Bernhardt: Dabei haben wir gelernt, dass das Vorgehen individuell auf die einzelnen Akteure zugeschnitten und standortspezifisch sein muss. Standardanschreiben funktionieren nicht.  Wir haben zum Beispiel die Erfahrung gemacht, dass bei den Gemeinden häufig sofort zugestimmt wird, aber wir dann immer wieder nachfassen mussten, weil dort einfach das Personal zur Bearbeitung fehlte.

Bönisch: Die Akteure sind extrem unterschiedlich. Der eine versteht sofort, um was es uns geht, der andere nicht. Es gibt kommunale und Privateigentümer, bei denen dann auch Familienangelegenheiten eine Rolle spielen. Außerdem haben wir natürlich mit Naturschutzorganisationen wie dem NABU zu tun.

Wie werden denn die Vorkommen der Wildarten, die erhalten werden sollen, überhaupt entdeckt?

Bönisch: Es gibt leider keine bundesweite Datenbank. Wir gehen also über die Landesumweltämter und die unteren Naturschutzbehörden. Dort liegen die aktuellsten Daten, wo die gesuchten Arten vorkommen. Wir schicken dann Kartierer an interessante Orte, die die Bestände und dortigen Bedingungen begutachten. Anschließend sammeln wir Blattproben, die wir am JKI genetisch analysieren.

Bernhardt: Wir wollen geeignete Repräsentanten der Wildselleriearten erhalten. Daher prüfen wir, mit welchen Vorkommen wir die innerartliche Vielfalt bestmöglich abbilden können. Außerdem interessieren uns natürlich besondere genetische Ausstattungen, zum Beispiel durch die Anpassung an spezielle Habitatbedingungen oder weil ein spannender evolutionsbiologischer Hintergrund vorliegt.

Es geht also damit los, dass irgendwann mal ein Botaniker einer unteren Naturschutzbehörde auf Wildsellerie gestoßen ist?

Bernhardt: Ja, tatsächlich werden solche Kartierungen bundesweit systematisch durchgeführt – allerdings in unterschiedlichen zeitlichen Abständen und mit unterschiedlicher Genauigkeit.

Bönisch: Manchmal sind die entsprechenden Daten schon 20 Jahre alt. Die durch das föderale System bedingte unterschiedliche Datenstruktur war eine der großen Herausforderungen unseres Projekts.

Was passiert mit dem Gebiet, wenn Sie anhand Ihrer Analysen feststellen, dass dort interessante Bestände vorkommen? Werden die Flächen aus der Nutzung genommen und die Besitzer entschädigt?

Bönisch: Bloß nicht, nein! Genetische Erhaltungsgebiete sind keine rechtlich anerkannten Schutzgebiete. Das bedeutet, dass Eigentümer nur dann ein Interesse an einer Zusammenarbeit haben, wenn die gewünschte Nutzung weiterhin möglich ist. Es bräuchte schon sehr viel Idealismus, um für die Einrichtung eines genetischen Erhaltungsgebiets beispielsweise die Nutzung als Grünland komplett aufzugeben. Zudem ist die Bereitschaft, mitzuarbeiten bei einem freiwilligen Schutzgebiet ohne gesetzliche Handhabe häufig größer.

Bernhardt: Außerdem kommen die Arten in der Regel genau dort auf den Flächen vor, weil die Nutzung bereits günstig für sie ist. Es geht eher darum, diese Nutzung fortzusetzen. Das kann beispielsweise bei Weiden der Fall sein, weil die Weidewirtschaft generell zurückgeht. Das bisher einzige Vorkommen des Kriechenden Selleries in Sachsen-Anhalt befindet sich nahe des Arendsees in der Altmark, und dieser Bestand war zuletzt stark geschrumpft, weil die Weide nicht mehr genutzt wurde. Uns ist es mit Hilfe unseres Netzwerks gelungen, einen Schäfer zu finden, der die Nutzung wieder aufgenommen hat und damit zur Sicherung des Bestandes beiträgt.

Bönisch: In der Nähe von Helmstedt wird derzeit eine Quarzgrube ausgebaut. Das betrifft auch ein genetisch wertvolles Vorkommen des Echten Sellerie. Die Betreiber des Quarzwerks, die unsere Arbeit kannten, haben uns von sich aus kontaktiert und mit uns gemeinsam den Bestand umgesiedelt. Dabei haben wir Saatgutproben genommen, hier am JKI angezogen und außerdem zur Sicherung in einer Genbank eingelagert. Das ist ein schönes Beispiel für die Zusammenarbeit mit allen Beteiligten zum Erhalt genetischer Ressourcen.

Die wenigsten Menschen essen Wildsellerie-Salat. Warum ist es sinnvoll, wilde Verwandte unserer Kulturpflanzen zu erhalten?

Bernhardt: Wildpflanzen sind genetische Ressourcen, weil sie möglicherweise über nützliche Eigenschaften verfügen, die unsere Kulturpflanzen nicht mehr haben. Sie tragen in sich das Potenzial, unsere Kulturpflanzen an künftige Herausforderungen anzupassen. Es gibt übrigens eine Wildsellerieart, die in Frankreich durchaus Salaten beigefügt wird.

Die Gesamterntemenge von Knollen- und Stangensellerie liegt bei 100.000 Tonnen im Jahr. Karotten kommen auf eine knappe Million. In den Top Ten der beliebtesten Gemüse taucht Sellerie nicht auf. Warum wurde gerade mit dieser Nischenkultur begonnen?

Bernhardt: Es sollte der Genpool einer Kulturart geschützt werden, und beim Sellerie kommen gleich vier Wildarten der Kulturart in Deutschland vor.

Bönisch: Die vier Arten zusammen decken das Bundesgebiet gut ab. Damit ist der Wildsellerie für ein Pilotprojekt, in dem es auch darum geht, die möglichen Probleme der föderalen Strukturen zu erkennen, gut geeignet. Bei der Möhre gibt es nur eine Wildart.

Bernhardt: Außerdem ermöglicht es uns, eine Brücke zum Naturschutz zu schlagen, denn die Wilde Möhre zum Beispiel ist anders als der Kriechende Sellerie weder selten noch gefährdet.

Welche Arten stehen nach dem Wildsellerie denn als nächstes an?

Bönisch: Wir orientieren uns da an einer Liste prioritärer Wildpflanzen für Ernährung und Landwirtschaft, die unter Berücksichtigung von Pflanzenforschung, -züchtung und Naturschutz erarbeitet wurde. Die Liste enthält etwa 130 Arten, darunter relativ unspektakuläre wie die Gemeine Schafgarbe, aber auch Johanniskraut und seltene Arten wie die Wildrebe.

Arten und Sorten lassen sich in Genbanken erhalten. Warum ist es sinnvoll, das auch in-situ also in ihrem Lebensraum zu tun?

Bernhardt: Die In-situ-Erhaltung hat ein höheres Potenzial, denn in Genbanken werden gewissermaßen nur Stichproben gelagert. Im Lebensraum lässt sich eine größere Vielfalt erhalten, und außerdem finden fortwährend lokale Anpassungen statt. Das kann gerade für die Anpassung an den Klimawandel wichtig werden.

Sie betreuen auch die Kontaktstelle „Genetische Ressourcen – Nagoya“ am JKI. Was hat es damit und mit dem Nagoya-Protokoll auf sich?

Bernhardt: Das Nagoya-Protokoll ist ein internationales Abkommen, das am 12. Oktober 2014 in Kraft getreten ist. Es sorgt dafür, dass Länder, aus denen das Material ursprünglich stammt, gerecht an den daraus gewinnbaren Vorteilen beteiligt werden.

Das heißt, wenn ausländische Forscher Wildsellerie aus Deutschland nutzen wollen, müssen sie dafür bezahlen?

Bernhardt: Nein. Deutschland hat zwar das Nagoya-Protokoll unterzeichnet, stellt aber keine Ansprüche an die Nutzung von Ressourcen aus Deutschland. Das regelt jedes Land für sich. Nun können auch Entwicklungsländer sicherstellen, dass sie nicht allein als Quelle genetischer Ressourcen genutzt werden, sondern von deren Nutzung ebenfalls profitieren.

Welche Aufgabe hat die Kontaktstelle?

Bernhardt: Wir sind erster Ansprechpartner für die Nutzung genetischer Ressourcen am JKI. Typische Fragen lauten zumeist: Fällt meine Forschung unter das Nagoya-Protokoll? Falls ja, wie gehe ich weiter vor? Was muss ich beachten, wenn ich Material an andere Forschungseinrichtungen abgebe?

Ist das Nagoya-Protokoll im Forschungsalltag am JKI denn relevant? Exotische Arten spielen auf den ersten Blick keine große Rolle.

Bernhardt: Das Nagoya-Protokoll ist auf jeden Fall relevant. Jeder Wissenschaftler muss wissen ob das Material, welches er für seine Forschung verwendet, darunterfällt. Bei Bedarf unterstützen wir beim Prüfen. Es geht nämlich nicht nur um Pflanzen, sondern auch um Pilze, Bakterien, Viren und Insekten. Pflanzengenetische Ressourcen können z. B. durch den internationalen Saatgutvertrag davon ausgenommen sein. Dieser regelt unter anderem, dass es für Herkunftsländer von Gerste oder Weizen, wenn sie Vertragsparteien des Saatgutvertrags sind, meistens keine Auflagen gibt. Aber vor kurzem hatte ich eine Anfrage zu Kakaobohnen aus Peru. Sollen sie nur phänotypisch beschrieben werden, ist nichts weiter zu beachten. Werden sie aber sequenziert oder wird die biochemische Zusammensetzung bestimmt, dann gilt häufig das Nagoya-Protokoll. In solchen Fällen wird dann auch das Justiziariat des JKI eingebunden.

Bönisch: Jeder Wissenschaftler sollte alle seine genetischen Ressourcen dokumentieren, auch wenn Saatgut nicht unter das Protokoll fällt. Auch Herkunftsländer, die das Nagoya-Protokoll nicht unterzeichnet haben, können Gesetze erlassen haben, die eingehalten werden müssen. Daher wird derzeit ein Tool am JKI entwickelt, mit dem jeder Forschende die Herkunft seines Materials und weitere Angaben zur Arbeit dokumentieren kann.

Das JKI verwendet häufig Material aus Genbanken. Ist da bereits alles geprüft?

Bernhardt: Darauf kann man sich nicht immer verlassen. Es gibt einige wenige Nagoya-konforme Genbanken wie etwa die Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen in Braunschweig. Da bekommt man die Erlaubnisdokumente mit dem Material geliefert. Häufig wurde das Material in Genbanken vor 2014 gesammelt und eingelagert, d. h. das Nagoya-Protokoll kommt dann nicht zum Tragen.

Was passiert denn, wenn man mit geschütztem Material arbeiten möchte?

Bernhardt: Zunächst einmal braucht man die Erlaubnis des Herkunftslandes. Wenn es Zugangsbeschränkungen gibt, setzt man sich daher auf juristischer Ebene zusammen und erarbeitet eine Regelung für den Umgang mit dem Material und den Ergebnissen, z. B. mit möglichen Erkenntnissen oder kommerziellen Anwendungen, die sich aus der Arbeit mit dem Material ergeben könnten.

Das Gespräch führte Johannes Kaufmann, Pressereferent am JKI