Jede Pflanze hat ihre spezifische genetische Ausstattung. Ihr tatsächliches Erscheinungsbild wird jedoch auch von der Umwelt beeinflusst. Das, was wir an einer Pflanze sehen, der so genannte Phänotyp, entsteht also aus dem Zusammenwirken von Genotyp und Umwelt. Damit Genomanalysen in der Pflanzenzucht sinnvoll eingesetzt werden können, ist es wichtig, Methoden zu entwickeln, um die gewünschte Merkmalsausprägung einer Pflanze, ihren Phänotyp, auch schon in jungen Stadien zu erkennen.
Vor allem die Züchtungsforscher des JKI möchten möglichst rasch die phänotypischen Eigenschaften der Nachkommen einer Kreuzung charakterisieren. Um die möglicherweise wertvollen Unikat-Pflanzen nicht zu zerstören, nutzen sie nicht-invasive Techniken um Pflanzeneigenschaften zu quantifizieren und zu vermessen. Dabei fallen meist riesige Datenmengen an (Bilddaten, Messdaten). Diese müssen mit den vorhandenen genetischen Daten korreliert werden und langfristig für andere externe Nutzer - praktischerweise in Datenbanken - hinterlegt und so abgespeichert werden, dass sie später jederzeit wieder eindeutig zugeordnet und genutzt werden können. Die Expertise der Mitarbeiter der Zentralen Datenverarbeitung des JKI ist hier unerlässlich.
Zu den Methoden, die einen detaillierten Blick ins „Innere“ der lebenden Pflanze erlauben, gehören z. B. die Gaschromatografie oder die Massenspektrometrie, aber auch schwingungsspektroskopische Methoden wie Infrarotspektroskopie (IR) oder Ramanspektroskopie. Erstere Methoden werden genutzt, um ganze metabolische Profile von Pflanzen zu erstellen oder Aromaprofile von noch in der Zucht befindlichen Obst- oder Rebsorten.
Die schwingungsspektroskopischen Methoden lassen sich zum Beispiel einsetzen, wenn Pflanzen nur auf ganz bestimmte Inhaltsstoffe getestet werden sollen, also nicht das ganze Set abgefragt werden muss. Etwa, wenn zur Qualitätskontrolle bei Aroma- und Medizinalpflanzen die für die pflanzlichen Rohstoffe (ätherische Öle) definierten Qualitäts-Parameter schnell und zuverlässig charakterisiert werden.
Ein wichtiger Aspekt der Züchtungsforschung am JKI ist das Auffinden von Resistenzquellen. Die Versuchspflanzen werden dann meist oft und aufwändig auf Krankheitsmerkmale abgesucht (phänotypische Charakterisierung). Bei Pilz- oder Viruskrankheiten weisen Blätter, Stängel, Früchte oder Wurzeln oft optische Merkmale wie Flecken, Pusteln und Verfärbungen auf. Diese Symptome sind meist charakteristisch für einen bestimmten Krankheitserreger bzw. die Stadien des Krankheitsverlaufs. Sind diese Symptome bekannt, können Bildanalysesysteme zur Phänotypisierung eingesetzt werden.
Je nach Fragestellung, Kultur, Pflanzenteil und Schaderreger variieren die digitalen Bildanalysesysteme. Es gibt Firmen, die sich auf bildgebende Verfahren im Phänotypisierungs-Sektor spezialisiert haben. Das JKI nutzt im Bereich der Gemüsekulturen bereits solche Systeme und etabliert Analyse-Methoden für diverse Fragestellungen.
Siehe z. B. Infektionen mit Falschem Mehltau frühzeitig und zerstörungsfrei erkennen – Neue Chlorophyllfluoreszenz-Bildanalyse
Pflanzen im Labor zu untersuchen ist heutzutage eine normal Angelegenheit. Schwieriger ist das auf dem Acker. Hierfür muss die Laboranalytik quasi auf das Feld oder ins Gewächshaus gebracht werden. Ganz futuristisch wird es, wenn Roboter den Menschen bei der Erfassung ersetzen. So konnte 2015 durch ein interdisziplinäres Team der erste Phänotypisierungsroboter, genannt PHENObot, für Anwendungen im Weinbau und bei der Rebenzüchtung seinen Dienst aufnehmen. Der Roboter besteht aus einem Raupenfahrzeug, das auf Basis von GPS-Daten selbständig durch den Weinberg fährt, und einem Kamera-System.
Die bei der Fahrt aufgenommenen Bilder dienen anschließend dazu, phänotypische Merkmale (Beispiel: Entwicklung der Reben, Ertragsparameter) zu beurteilen. Vorteilhaft ist, dass die Reben bei der Bonitur nicht berührt werden und dass viele Merkmale gleichzeitig wesentlich rascher erfasst werden können, und das mit hoher Reproduzierbarkeit der Ergebnisse und ohne Fehler durch menschliche Ermüdung oder mangelnde Objektivität.
Solche Innovationen könnten die Effizienz in der Züchtung enorm steigern, da Kosten gesenkt werden und Zeit eingespart wird. Zukunftsmusik ist, den Roboter mit weiteren Sensoren auszustatten. Gerade bei der Züchtung pilzwiderstandsfähiger Rebsorten, einem Schwerpunkt am JKI zur Minimierung des Pflanzenschutzeinsatzes, ist die Überprüfung der Resistenzeigenschaften durch eine Bonitur ein unerlässlicher Arbeitsschritt. Andere Roboter oder autonome Phänotypisierungssysteme für den Einsatz auf dem Feld oder im Gewächshaus sind bereits im Einsatz oder in der Entwicklung.