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Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen

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Institut für Pflanzenschutz in Obst- und Weinbau

Verwirren, Anlocken, Abwehren, Täuschen und Tarnen

Von verwirrten Traubenwicklermännchen bis hin zu anlockenden oder vergrämenden Boten(Duft-)stoffen bei der Kommunikation zwischen Insekten und Pflanzen: Das JKI-Institut für Pflanzenschutz in Obst und Wein forscht und arbeitet seit Jahrzehnten an praxisrelevanten Methoden, solche verhaltensmanipulierenden Substanzen aufzuspüren und trickreich zur umweltschonenden Bekämpfung von Schädlingen einzusetzen.

Wussten Sie
, dass Insektenmännchen bei einem „zu-viel“ an weiblichen Sexuallockstoffen (Pheromon) so verwirrt werden können, dass sie die begehrten Artgenossinnen nicht mehr finden? Bereits 1959 extrahierte Butenandt das erste Pheromon aus Seidenspinnerweibchen.

Wussten Sie, dass Pflanzen, werden sie von Schädlingen befallen, flüchtige chemische Stoffe aussenden können, um Räuber oder Parasitoide zu ihrem Schutz anzulocken?

Wussten Sie, dass Pflanzen in der Lage sind, flüchtige Stoffe zu produzieren um Schädlinge abzuwehren und auch umstehende Pflanzen warnen können. Andererseits produzieren Schadorganismen Substanzen, die ihre Artgenossen anlocken, frei nach dem Prinzip „Hallo, hier gibt’s was zu holen“.

All diese Prinzipien sind für moderne nachhaltige Pflanzenschutzverfahren von großer Bedeutung. Das Wissen um sie führt im Erfolgsfall dazu, dass Stoffe mit „verwirrenden“, attraktiven oder repellenten Eigenschaften – richtig eingesetzt – dafür sorgen können, dass Schädlinge fernbleiben oder sich nicht vermehren.

Seit Jahrzehnten erfolgreich in der Praxis – Traubenwicklerverwirrung

Seit 1974 gab es am damaligen BBA-Weinbauinstitut in Bernkastel-Kues Untersuchungen, die Effektivität von Pheromonfallen mit den bis dato üblichen Köderfallen bei Traubenwicklern zu vergleichen. Allerdings ging es dabei darum festzustellen, ob Pheromonfallen geeignet sind, den besten Termin für die Ausbringung von Insektiziden zu ermitteln.

Die Idee, die Männchen des Einbindigen Traubenwicklers – einem Hauptschädling in Rebanlagen - mit einem Überangebot an Sex-Lockstoffen der Weibchen zu verwirren, wurde von den Ländern RP (Neustadt), BW (Freiburg) zusammen mit der BASF seit Ende der 1970er Jahren vorangetrieben. Das Weinbauinstitut mit der Arbeitsgruppe um ENGLERT war maßgeblich an der Entwicklung der ersten Produkte gegen den Einbindigen Traubenwickler so wie an der Entwicklung von Prüfmethoden zur Messung der biologischen Wirksamkeit dieser Verfahren im Weinbau beteiligt. Es führte in den 1980er Jahren die ersten Freilandversuche mit dieser sog. biotechnischen Pflanzenschutzmethode unter Praxisbedingungen durch. Es galt zu klären, wie die Dispenser aussehen müssen, die Menge der auszubringenden Sexuallockstoffe oder die Frage, wie die Wirksamkeit der Verwirrungsmethode getestet werden kann.

Inzwischen ist die Pheromonverwirrung zur Bekämpfung des Traubenwicklers im Weinbau gut etabliert. Auf rund 60.000 ha Rebanbaufläche (= ca. 60 %) wird sie angewendet. Seither wird immer wieder daran gearbeitet, die Ausbringungstechnik bzw. die Dispenser, aus denen der Lockstoff diffundiert, nach den aktuellen technischen Möglichkeiten zu optimieren.

Wann ist die Verwirrungsmethode erfolgreich?

Das Team um HOFFMANN forscht bei den optimierten Techniken nach wie vor zulassungsbegleitend daran, ob die gängigen Prüfmethoden für die neuen Formulierungen hinsichtlich der Wirksamkeit im Feld anwendbar und aussagekräftig sind. Denn der Schädling ist in den Rebanlagen sehr ungleichmäßig verteilt. Trotzdem muss die Effektivität einer Behandlung aussagekräftig und standardisiert gemessen werden können.

Zusammen mit Kooperationspartnern überprüfte HOFFMANN die Anwendbarkeit einer Käfigmethode zur Messung der biologischen Wirksamkeit von Pheromonverfahren auf unterschiedliche Schadschmetterlinge des Obst- und Weinbaus. Für diese Methode wurde 2008 bei der EPPO (European Plant Protection Organisation) ein Richtlinienvorschlag eingereicht. Seit 2020 ist diese Richtlinie eine international gültige Prüfmethode, die in Europa, Nordafrika und Teilen Asiens Gültigkeit hat. Je ein Käfig wird mit einer definierten Zahl an Traubenwicklermännchen sowie einer Klebefalle mit zwei Weibchen bestückt. Verglichen werden Käfige ohne Behandlung (Kontrolle) mit Käfigen mit Pheromonzusatz. Ein Überangebot an Sexuallockstoffen verwirrt die Männchen. Finden sie die Weibchen nicht, d. h. kleben sie nicht an der Falle – dann ist die Behandlung äußerst erfolgreich.

Verwirrung/Paarungsstörung im Obstbau

Bei allen Verwirrmethoden ist die Zusammenarbeit mit Unternehmen erforderlich, die in der Lage sind, die Lockstoffe zu synthetisieren und effektive Dispenser zu entwickeln, so dass die Düfte über den erforderlichen Zeitraum in der richtigen Menge ausdünsten. Bereits in den 1990er Jahren forschte das Team VOGT am Institut an der Verwirrungsmethode, um den Apfelwickler (den wichtigsten Schädling im Apfelanbau) und den Apfelbaumglasflügler zu regulieren. Ein wesentlicher Fokus lag hier in der Optimierung bestehender Methoden.

Biologische Bekämpfung, die sich die Kommunikation von Insekten und Pflanzen zunutze macht

Bei Pheromonen handelt es sich um flüchtige chemische Botenstoffe (Infochemikalien), über die die Geschlechter einer Art – meist Insekten – untereinander kommunizieren. Für die Entwicklung biologischer Methoden sind jedoch noch weitere „Sprachnachrichten“ von großem Interesse, nämlich solche, die zwischen einem Schaderreger und seinen Wirtspflanzen ausgetauscht werden.

Seit ca. 20 Jahren erforscht vor allem das Team von GROSS am Dossenheimer Institut intensiv Infochemikalien, die die Kommunikation zwischen den Kulturpflanzen und ihren Schaderreger oder Überträgern von Krankheiten beeinflussen bzw. für diese relevant sind. Sie wollen erreichen, dass wichtige Schaderreger im Obstanbau gezielt manipuliert werden und kein Interesse mehr an ihrer eigentlichen „Wunschnahrung“ (Obstbäume bzw. deren Früchte) zeigen. Wie komplex diese Wechselwirkungen sind, zeigt das folgende Beispiel.

Beispiel Sommerapfelblattsauger – Teil einer spannenden Dreiecksbeziehung

Ein Hauptaugenmerk des JKI-Instituts liegt seit vielen Jahren auf der für den europäischen Apfelanbau ökonomisch disaströsen Apfeltriebsucht, verursacht durch ein Phytoplasma (zellwandloses Bakterium) (siehe Geschichte zu Phytoplasmen) und übertragen durch einen Blattsauger (Psyllidae). Die Dossenheimer Forschergruppe konnte bisher schon einige Geheimnisse dieser „Dreiecksbeziehung“ Phytoplasmose – Apfelpflanze – Überträger aufdecken. Sie wiesen nach, dass der einzige Überträger der Krankheit in Deutschland der Sommerapfelblattsauger, Cacopsylla picta, ist. Doch dem nicht genug. C. picta überwintert an Nadelbäumen, um im zeitigen Frühjahr Apfelbäume in Erwerbsanlagen zu besiedeln und sich dort zu vermehren. Dabei zeigte sich, dass überwinternde Weibchen die meisten Eier auf gesunde Blätter ablegten. Und jetzt der Clou: die sich daraus entwickelnden jungen Blattsauger bleiben nicht dort, sondern fliegen verstärkt infizierte Bäume an. Dort nehmen sie beim Saugen Phytoplasmen auf, bevor sie wieder in ihr Winterquartier wechseln. In dieser Zeit vermehrt sich der Erreger im Insekt, um im kommenden Frühjahr – von dem Apfeltriebsuchterreger quasi ferngesteuert – wieder gesunde Bäume anzufliegen.

Wie kann das sein? Die JKI-Gruppe wies nach, dass Apfelbäume nach der Infektion mit Phytoplasmen ihre Duftstoffe verändern. Gaschromatographische Analysen ergaben, dass infizierte Bäumeverstärkt ß-Caryophyllen bilden, was junge Blattsauger anlockt. Weiterhin war die Zuckerkonzentration infizierter Apfelbäume deutlich höher als bei gesunden, so das Ergebnis von Analysen des Phloemsaftes. Alles in allem ist dies für das Phytoplasma eine ausgesprochene Win-win-Situation: es ist in der Lage, seinen Wirt und seinen Überträger gleichermaßen zu manipulieren, um so beim Saugvorgang häufiger aufgenommen und schneller verbreitet zu werden.

Zukunftsmusik: Blattsauger und Phytoplasmen austricksen, damit Obstanlagen gesund bleiben

Mit diesem Wissen begann die Dossenheimer Forschergruppe, sich ihrem eigentlichen Ziel anzunähern, einer umweltschonenden gezielten Bekämpfung des Überträgers, da Phytoplasmen selbst nicht bekämpfbar sind. Sie nutzen flüchtige pflanzliche Duftstoffe, die auf Insekten eine vergrämende oder anziehende Wirkung ausüben, so z. B. im Forschungsprojekt „Picta-Kill“ mit Partnern (*2). Erste gemeinsame Versuche im Labor machen

Hoffnung: C. picta kann mit verkapseltem β-Caryophyllen angelockt werden. Kombiniert man den Lockstoff zusätzlich mit einem kürzlich isolierten insektenpathogenen Pilz (Pandora sp.), für das die Fachhochschule Bielefeld ein spezielles Einkapselungsverfahren entwickelte – ein biologisches sog. „Attract-and-Kill“ Verfahren wäre praxisreif und für die Biodiversität im Apfelbaum sicherlich ein absolutes Plus.

Auswirkungen des Klimawandels

Pflanzliche Duftstoffe oder Insektenpheromone: immer handelt es sich um flüchtige Substanzen, die – abhängig von der Temperatur – aus Kapseln bzw. Dispensern oder anderen Fallen ausgasen. In den letzten Jahren mehren sich Berichte, dass z. B. die Verwirrung des Apfelwicklers an Wirksamkeit verliert. Daten des Dossenheimer Instituts zeigen, dass durch die erhöhten mittleren Maximaltemperaturen der vergangenen Jahre die Stabilität von Pheromonmolekülen (der Apfelwicklerweibchen) beeinflusst und damit ihre biologische Wirksamkeit verringert wird. Ein anderes Ergebnis: Eine langzeitig erhöhte CO2-Exposition wirkte sich im Labor negativ auf die Wahrnehmung des Sexualpheromons durch die Männchen des Bekreuzten Traubenwicklers aus.

Ausblick

Forscherteams aus aller Welt arbeiten für verschiedenste Schaderreger daran, natürliche chemische Botenstoffe geschickt für biologische Bekämpfungsverfahren zu nutzen. Der Austausch des aktuellen Know-hows und ein gemeinsames Vorangehen sind hier essentiell. So leitet GROSS seit 2012 die internationale IOBC-WPRS-Arbeitsgruppe (*2) „Pheromones and other Semiochemicals in Integrated Production“ (Pheromone und andere Infochemikalien zum Einsatz im Pflanzenschutz). Das JKI-Institut für Pflanzenschutz in Obst- und Weinbau ist national wie international gut vernetzt. Im Sinne des Integrierten Pflanzenschutzes (siehe eigene Geschichte) für eine umweltschonende Anbauweise von Obst und Reben sind die Forscherinnen und Forscher stark daran interessiert, weitere spannende Beziehungen zwischen Pflanzen und Schädlingen aufzuspüren und für Anbauer nutzbar zu machen.


*1 =  Fachhochschule Bielefeld, Insect Services GmbH sowie BIOCARE Gesellschaft für biologische Schutzmittel mbH

*2 =  IOBC-WPRS = International Organisation for Biological and Integrated Control - West Palaeartic Regional Section (www.iobc.org) (siehe auch Artikel „IPS“)