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Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen

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Institut für Pflanzenschutz in Obst- und Weinbau

Auch für Pflanzenviren gilt: extrem klein, gefährlich und manchmal unberechenbar

JKI-Institut für Pflanzenschutz in Obst- und Weinbau seit 70 Jahren international bedeutend in der Forschung an Viren an Obst und Reben. Von den ersten Entdeckungen bis zur Ernennung zum Nationalen Referenzlabor

1971 feierte der heutige Dossenheimer Institutsteil – damals BBA-Institut für Obstkrankheiten - seinen 50. Geburtstag. Es forschte seit 20 Jahren intensiv zu Viruskrankheiten im Obstbau. Im internationalen Vergleich war dies - kriegsbedingt - zwar relativ kurz, doch das Institut war schnell daran gegangen, diesen „Rückstand“ aufzuholen. Erste Erkenntnisse zeigten, dass viele Obstbaubetriebe in Deutschland teilweise unbemerkt von Viren „durchseucht“ waren.

Das Fatale an Viren: ist ein Baum einmal damit infiziert, dann bleibt er es. Vor allem für Obstbäume und Reben eine besonders gravierende Situation, da sie nicht nach einem Jahr abgeerntet werden, sondern bis zu 20/25 Jahre wachsen und Erträge bringen sollen.

Die Symptome einer Infektion: Früchte verkrüppeln oder sind ungenießbar (!), bringen weniger Ertrag oder fallen vorzeitig ab, Blattadern sind aufgehellt, Blätter gerollt, gescheckt oder mit mosaikartig verfärbt, um nur einige zu nennen. Das Hauptziel der Dossenheimer Forscher lag daher an sicher virusfreien Obstanlagen. Aber dazu später.

Viruskrankheiten an Obst: Erste Nachweise

Viele Virosen der hiesigen Obstanlagen wiesen die Wissenschaftler des Instituts bis in die 1970er Jahre erstmals nach, so beispielsweise die wirtschaftlich bedeutende Scharka-Krankheit bei Pflaume, verursacht durch das plum pox virus, PPV. (Hinweis: damals produzierte Deutschland 50 % der Pflaumen in der EWG). Virosen anhand von Symptomen zu diagnostizieren war (und ist) der erste essenzielle Schritt; sichere und schnelle Labortests zu deren Nachweis zu entwickeln und zu erproben, ein weiterer. Der dritte Ansatz – damals noch wenig erforscht – ist, detektivisch Überträger (oft Blattläuse oder Zikaden, aber auch der Mensch durch Pflege und Bearbeitung der Pflanzen) der Viren aufzuspüren und die Art und Weise der Übertragung zu erforschen. Wie kommen die jeweiligen Viren in die Pflanze und unter welchen Voraussetzungen werden sie weitergegeben - ein wesentlicher Ansatz für eine Bekämpfung.

Beispiel Scharkavirus an Pflaume

Das Beispiel des Scharkavirus soll ihnen die damalige Arbeit des Instituts näherbringen. Die langjährigen Wissenschaftler KRCZAL und KUNZE untersuchten seit 1967 intensiv die an Steinobst lebenden Blattlausarten. Hier vermuteten sie die Überträger (Vektoren) der Virose. Bei vier von sieben getesteten Arten hatten sie Erfolg. Unter ihnen ein zuvor unbekannten Vektor, die Große Pflaumenblattlaus (Brachycaudus cardui). Mit ihren akribischen und extrem aufwändigen Untersuchungen stellten sie für das Scharkavirus weitere, damals unbekannte komplexe Zusammenhänge fest:

  • Die als Überträger festgestellten Blattlausarten verschleppen das Virus nicht nur innerhalb einer Obstart, sondern auch von einer auf eine andere Art (z. B. Pflaume auf Pfirsich oder Aprikose)
  • Alle Vektoren nahmen das Virus innerhalb einer kurzen Saugzeit von maximal 5 Minuten von einem infizierten Baum auf und konnten es unmittelbar danach auf gesunde Pflanzen übertragen. Zwar persistiert das Scharka-Virus nicht in der Blattlaus, aber fliegende Läuse können die Krankheit über größere Strecken übertragen.
  • Alle bekannten Überträger leben nicht nur auf einer Pflanzenart, sondern ihre „Wirte“ wechseln i.d.R. auch auf Wildpflanzen.

Die daraus resultierenden ersten Empfehlungen des Instituts für die Praxis lauteten daher: Alle Pflanzen mit Symptomen rechtzeitig im Spätsommer (bis 1.9.) roden und bei anfälligen Obstsorten  mehrfach im Frühjahr und Herbst gegen die Läuse vorgehen.

Das Scharkavirus blieb für den Steinobstanbau bis heute von großer ökonomischer Bedeutung. Es erlangte im Jahr 2018 erneut große Aufmerksamkeit, da es von JELKMANN erstmals in Deutschland in Sauerkirschen über die Beschreibung der vollständigen viralen Erbinformation nachgewiesen werden konnte.

Viruskrankheiten der Rebe

Das damalige Weinbauinstitut forschte ebenfalls intensiv an Viruskrankheiten. In den 1950er Jahren standen die Beschreibung spezifischer Krankheitssymptome und ihre Abgrenzung zu Ernährungsstörungen im Vordergrund der Arbeiten von GÄRTEL, einem der Gründungsväter des ‚International Council for the Study of Virus and Viruslike Diseases of the Grapevine‘ (ICVG). Diese Arbeiten mündeten in einem Bildatlas zur Symptomatik und Differentialdiagnose der Rebvirosen, einem dreisprachigen Standardwerk von fünf Virologen – darunter GÄRTEL - aus Europa und den USA.

STELLMACH untersuchte mit Bercks (BBA-Braunschweig) in den 1960er Jahren die Reisigkrankheit, die weltweit bedeutendste Viruskrankheit an Reben Sie fanden einen Komplex mehrerer mit der Krankheit assoziierter Nepoviren (Nematoden-übertragbare Viren mit Polyederstruktur). Die in den 1980er Jahre auftretende Kernerkrankheit identifizierte das Institut als hypersensitive Reaktion der Rebsorte auf eine Infektion der Unterlage mit dem arabis-mosaik virus (ArMV).

Internationalisierung und Trennung zwischen Viren und Phytoplasmen

Trotz des „Nachholbedarfs“ infolge des Krieges wird die internationale Bedeutung des Instituts in der damaligen Virusforschung zum Beispiel daran deutlich, dass der Virologe KUNZE 1976 das „X. Internationale Symposium über Viruskrankheiten an Obstbäumen“ der ISHS (International Society for Horticultural Science) federführend in Heidelberg organisierte (*1). Just zu dieser Zeit erkannte man, dass nicht alle zuvor Viren zugesprochene Krankheiten, z. B. Apfeltriebsucht oder Birnenverfall, von diesen verursacht werden. Hier beginnt die Geschichte (siehe eigenes Kapitel) der Phytoplasmen (damals Mycoplasmen genannt), der Bakterien ohne Zellwand.

 

(*1): Das erste internationale Treffen einer kleinen Zahl von Virusexperten aus Europa und Nordamerika zu Obstviren und ähnlichen Krankheiten fand 1954 in Wädenswil in der Schweiz statt. Dort berichteten bereits drei Wissenschafter der damaligen BBA, u.a. der Direktor des damaligen Heidelberger Instituts, Dr. SCHUCH.


Der Weg zu virusgetesten Obstgehölzen

Forschern wie Anwendern war in den 1960er Jahren die Bedeutung von virusfreiem Veredelungsmaterial bewusst, d. h. die Anzucht der Jungpflanzen (Reiser und Unterlage) sollte 100 % virusfrei sein, damit die Viren nicht auf diesem Weg weiter verschleppt werden. Zusammen mit den Bundesländern begann man Maßnahmen zu erarbeiten, um neue Obstanlagen mit gesunden Pflanzen aufbauen zu können. Dies mündete 1967 in der Richtlinie zur Anzucht von virusgetesteten Obstgehölzen, II. Errichtung von Muttergärten. Möglichst schnelle und sichere Tests und der rasche Transfer in die Praxis waren und sind bis heute das A und O der Dossenheimer, so dass virusfreies oder wenigstens virusgetestetes Pflanzenmaterial für Neuanlagen zur Verfügung stand. 1977 gab es bereits bei Apfel und Birne 2,7 Millionen solcher Unterlagen.

1978 trat die Obstvirus-Verordnung in Kraft – maßgeblich vorangetrieben durch die Virologen KUNZE und KRCZAL. Sie regelte erstmals, dass nur noch veredelte Pflanzen vertrieben werden durften, wenn das Vermehrungsmaterial frei von bestimmten, zuvor festgelegten Viruskrankheiten war. Anzucht, Vermehrung und Abgabe von Obstarten waren jetzt behördlich kontrolliert. Virusfreies gesundes Rebenpflanzgut war im damaligen Schwesterinstitut „Weinbau“ ebenfalls Ziel der Forschungen bzw. wie Viren aus infizierten Reben eliminiert werden können.

Wir schreiben das Jahr 2021 und über 40 Jahre sind vergangen. Es stellt sich die Frage, ob weitere richtungsweisende Forschungen und Regelungen erfolgreich und notwendig waren bzw. noch immer sind.

Internationales Agieren und EU-weite Regelungen

Die Arbeiten bei weiteren Regelungen setzt JELKMANN seit den 1990er Jahren fort. U.a. arbeitete er im EPPO Panel "Panel on Certification of Pathogen-tested Fruit Crops“ mit, welches Leitlinien zur Zertifizierung einer Vielzahl von Obstarten erstellte und frei zugänglich publizierte. Bei diesen internationalen Leitlinien lag der Schwerpunkt auf der Anzucht und dem Inverkehrbringen von virusfreiem Anbaumaterial von Obstarten. JELKMANN und Gabi KRZCAL (AlPlanta) organisierten im Jahr 2009 das 21. Symposium für Baum- und Beerenobstvirosen in Neustadt/Weinstr.. Auf Initiative von JELKMANN beschloss das wissenschaftliche Komitee einen neuen Titel „International Conference on Virus and other Graft Transmissible Diseases of Fruit Crops“ und gleichzeitig die Gründung einer eigenständigen, von der ISHS unabhängigen Organisation. Seither finden sich alle Details des ICVF (*2), zu dessen wissenschaftlichen Komitee JELKMANN bis heute gehört, auf der Webseite www.icvf.net.

Seit 1998 werden sämtliche pflanzengesundheitlichen Regelungen innerhalb der EU-Staaten harmonisiert. So löste die Verordnung über das Inverkehrbringen von Anbaumaterial von Gemüse-, Obst- und Zierpflanzenarten (AGOZ) die bis dato gültige Obstvirus-Verordnung ab. Diese beinhaltet einheitliche Anforderungen an das Pflanzenmaterial, die von allen EU-Mitgliedstaaten eingehalten werden müssen. In Zusammenarbeit mit dem BBA-(jetzt JKI) Institut für nationale und internationale Angelegenheiten der Pflanzengesundheit war die Expertise des Instituts dabei sehr gefragt.

 

(*2): ICVF = International Council for the Study of Virus and other Graft Transmissible Diseases of Fruit Crops

Diagnosefortschritte der letzten 30 Jahre und ihr Ergebnis

Das Dossenheimer Institut forscht seit mehr als 30 Jahren mit der Arbeitsgruppe um JELKMANN weiterhin akribisch an Schäden an wichtigen Obstkulturen, die durch Viren verursacht werden. Während in den 60/70er Jahren die klassische Diagnose und die Schadwirkung der Viren im Vordergrund stand, entwickelten die Wissenschaftler vor allem in den 1980er Jahren deutlich verbesserte Nachweismethoden auf Basis serologischer Tests, vor allem ELISA (Enzyme-linked Immunosorbent Assay). Einen deutlichen „Sprung nach vorne“ kam seit den 1990er Jahren mit dem Aufkommen von Testverfahren auf der Basis der Nukleinsäuren, vor allem den inzwischen fast jedermann bekannten PCR-Tests (Polymerase Chain Reaction). JELKMANN`s Team setzt auf diese aktuellen molekularen Diagnose-Tools und etablierte PCR-Verfahren für verschiedene Viren. Mit der heutigen Hochdurchsatzsequenzierung steht eine weitere Technik zur Verfügung, Viren rasch und sicher zu charakterisieren. So beschrieb das Team zahlreiche an Baum- und Beerenobst vorkommende Viren erstmals und charakterisierte diese über die Ermittlung der vollständigen Erbinformationen. Durch Anwendung dieser extrem empfindlichen Nachweis- und Sequenzierungsverfahren wurden auch eine Reihe eher zufällig gefundener „neuer“ Viren aufgespürt, die an den Pflanzen kein sichtbares Krankheitsbild zeigen. Die inzwischen recht einfache Entschlüsselung des Genoms von Viren ermöglichte es der Arbeitsgruppe außerdem, eine Reihe von Viruskrankheiten eindeutig bestimmten Viren zuzuordnen.

Interaktionen Wirtspflanze – Virus

Neben der Diagnose steht im Fokus der Arbeiten, die Beziehungen zwischen dem Baum bzw. Strauch und den Viren detailliert zu untersuchen. Ziel ist, die Prozesse, die zu einer Infektion führen, auf molekularer Ebene aufzuklären,  auch um Ansätze für die Züchtung resistenter Sorten zu erhalten. An dieser Stelle können nur wenige Beispiele aus den zahlreichen Arbeiten genannt werden. Bei der Kleinfrüchtigkeit bei Süßkirschen zeigte das Team, das zwei Viren für die Krankheit verantwortlich zeichnen: littlecherryvirus 1 (LchV-1) und littlecherryvirus 2 (LChV-2). Das apple stem pitting virus (ASPV) – ein gefürchtetes Virus vor allem an Apfel - hat keinen bekannten Vektor und wird über infizierte Veredelungsreiser bzw. Unterlagen verbreitet. Das Institut entschlüsselte u. a. vor mittlerweile 25 Jahren das Genom. Bei dem strawberry mild yellow edge virus (SMYEV) stellte JELKMANN fest, dass es für die Blattrandvergilbung der Erdbeere verantwortlich ist. Dies gelang über die Herstellung sogenannter infektiöser Klone des SMYEV, mit denen gesunde Pflanzen infiziert werden können. Diese Klone ermöglichten zudem neue Ansätze, um die Übertragung des SMYEV mit der Erdbeerhaarknotenlaus zu erforschen.

Im Weinbau ist es die Blattrollkrankheit an Reben, die das Institut intensiv bearbeitet. Sie wird von verschiedenen Viren verursacht (Grapevine leafroll associated virus -1, -2, -3 und -7 (GLRaV-1, -2, -3, -7)), verbreitet. Bei GLRaV-3 ist auffällig, dass es zunehmend über Schmierläuse in Rebanlagen verbreitet wird.

Interne Vernetzung und Nationales Referenzlabor

Nach wie vor eng vernetzt mit dem JKI-Institut für nationale und internationale Angelegenheiten der Pflanzengesundheit (AG), erarbeitet das Institut umfangreiche Daten für deren administrative Arbeit. Denn der ständig expandierende globale Handel mit Pflanzen und pflanzliche Reisesouvenirs und nicht zu vergessen die wärmeren Witterungsbedingungen bergen ein immenses und wachsendes Potenzial, dass neue Viren unbemerkt eingeschleppt und sich hier verbreiten können. Das JKI ist heute Nationales Referenzlabor für Quarantäneschadorganismen an Pflanzen. Die Virologinnen und Virologen des Instituts bearbeiten dabei die Viren, Viroide und Phytoplasmen im Obst- und Weinbau. Es gilt, Diagnosemethoden aufzubauen und mit anderen Referenzlaboren zu harmonisieren, um eine sichere Routinediagnostik zu ermöglichen.

Forschung an Obst- und Rebenviren: auch morgen noch wichtig?

Die zuvor beschriebene grundsätzliche Arbeit der „Obst- oder Rebvirologen“ hat sich in den vergangenen 70 Jahren anscheinend nur wenig verändert. Klingt für Laien erst einmal wenig spannend. In den 1950er und 60er Jahren stand die angewandte Forschung im Vordergrund und durch Pfropfung übertragbare Viruskrankheiten sollten vermieden werden. Sich ständig verbessernde Diagnosewerkzeuge und die heutigen molekularen Techniken ermöglichen wesentlich detailliertere Einblicke in die vielfältige Welt der Pflanzenviren. Neue Virusfunde, neue sie übertragende Insekten (die zum Beispiel infolge des wärmer werdenden Klimas nach Deutschland einwandern) sorgen jedoch immer wieder für Überraschungen.

So bleiben Forschungen an Obst- und Rebenviren auch künftig notwendig und mit der Verbindung der Umsetzung in die Praxis mit den dafür notwendigen Regelungen für anwendungsorientierte Wissenschaftler attraktiv.