Zum Inhalt springen
Zur Hauptnavigation springen
Gehe zur Startseite des Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen.
Suche öffnen
Gehe zur Startseite des Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen.
Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen

Navigation

WS
Institut für Waldschutz

Inhalt: Interview mit Institutsleiter Dr. Henrik Hartmann

Seit Dezember 2022 leitet Prof. Henrik Hartmann das neue JKI-Fachinstitut für Waldschutz in Quedlinburg. Im Februar 2023 überreichte Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir symbolisch den Schlüssel für das Institut. JKI-Pressereferent Johannes Kaufmann sprach mit Dr. Hartmann über seinen Blick auf den Wald und die Pläne für sein Institut.

Sie haben einen ziemlich ungewöhnlichen Lebenslauf hinter sich. Können Sie kurz skizzieren, wie Sie zur Forstwissenschaft kamen und schließlich hier am JKI gelandet sind?

Ich habe als Kind zwar viel im Wald gespielt, Förster wollte ich aber nicht werden. Als ich nach Abitur und Bundeswehr ein Biologie-Studium begann, wurden mir und den anderen 150 Studierenden im Hörsaal gesagt, dass etwa drei von uns später einen Job bekommen würden. In der auf diesen Schock folgenden Orientierungsphase bin ich in einem Anflug jugendlichen Wahnsinns mit dem Seesack auf dem Rücken nach Kanada ausgewandert – sicherlich auch auf der Suche nach mir selbst und nach Sinn im Leben. Letztlich habe ich mich dann am Ende der Welt in einer einsamen Waldhütte eingerichtet. Da gab es nur Schnee, Kälte und Wald. Und wenn man im und vom Wald lebt, beginnt man zu beobachten und Fragen zu stellen. Warum wächst die Gelbbirke hier und der Zuckerahorn dort? Ich habe dann zunächst in der Produktion von Ahornsirup gearbeitet und später eine Ausbildung zum Forstarbeiter gemacht. Da habe ich meine Ausbilder derart mit Fragen genervt, dass die mir ein Studium der Forstwissenschaften empfahlen. Im Bachelor-Studium rieten mir dann meine Professoren – wieder wegen meiner vielen Fragen – Wissenschaftler zu werden. Also habe ich schließlich in Montreal einen Doktor in Waldökologie gemacht und Absterbe-Ereignisse in Zuckerahornbeständen untersucht.

Vom Aussteiger zum Institutsleiter einer Behörde – sie haben eine denkbar radikale Wandlung durchlaufen. Den umgekehrten Weg, vom Beamten zum forstlichen Querdenker, ist ein sehr bekannter Förster gegangen. Was sagen Sie dazu, dass Peter Wohlleben mit seinen Thesen zum prominentesten Förster Deutschlands wurde?

Seine Thesen sind auch einer der Gründe, warum ich jetzt Institutsleiter am JKI bin. Das Bild vom Wald wird in der öffentlichen Debatte von kruden und schiefen Ideen beeinflusst und nimmt sogar Einfluss auf die politische Diskussion über den Wald. Nun werden zum Beispiel alte Buchenwälder erhalten und geschützt, obwohl es gerade diese Wälder sind, die zurzeit am häufigsten sterben. Natürlich hat ein 35 Meter hoher Baum einen viel größeren Wasserbedarf als ein kleinerer, das Wasser muss viel höher transportiert werden, und das üppige Kronendach ist der Sonne ausgesetzt. Deswegen kommt es bei Dürre gerade hier verstärkt zu Ausfällen. Die zu schützenden Bäume sind also sehr gefährdet, da helfen auch keine romantischen Vorstellungen. Die meisten Menschen empfinden große alte Bäume als erhaben und schützenswert, aber dies sollte nicht im direkten Gegensatz zu wissenschaftlichen Erkenntnissen stehen. Leider sind romantische Vorstellungen sehr verfänglich, sie kommen gut an, bringen uns aber kein Stück weiter, um den Erhalt des Waldes zu sichern.

Das beantwortet schon die Frage danach, warum sie aus der freien in die Ressortforschung gewechselt sind.

Bei meiner bisherigen Forschungstätigkeit habe ich mich irgendwann gefragt, was von meiner Arbeit eigentlich im Wald ankommt. Hier am JKI hingegen merke ich schon jetzt: Mein Kalender ist voll mit Terminen von Gremien, die die Politik beraten. Das erlaubt mir, gegen falsche Vorstellungen anzugehen und neue fundierte Ansätze voranzutreiben. Wir müssen die Öffentlichkeit davon überzeugen, dass wir für, nicht gegen den Wald handeln. Leider ist uns dies in der forstlichen Praxis in der Vergangenheit nicht immer gut gelungen. Als Institutsleiter am JKI möchte ich auch die öffentliche Wahrnehmung des Waldes und die politischen Reaktionen darauf mitbestimmen.

Man sagt der deutschen Seele eine besondere Nähe zum Wald nach. Ist das Bild der unberührten Natur im Wald ein Problem?

Es ist ein Trugbild. Es gibt nicht nur in Europa, wo die meisten Waldbestände bereits seit Jahrhunderten, nein, Jahrtausenden durch den Menschen beeinflusst wurden, keinen unberührten Wald mehr. Selbst in den Tropen ist das eher selten. In vielen Regionen des Amazonas-Regenwalds nutzen die Menschen seit langer Zeit den Wald als Lebensraum. Nach unserer Vorstellung sind die Regenwälder die wahre Natur, die der Mensch noch nicht „stören“ konnte. Doch der Mensch ist Teil der Natur und dies auch in entlegenen Regionen. Erstaunlich ist, dass gerade dort, wo Menschen seit Tausenden von Jahren aktiv in den Wald eingegriffen, Arten eingebracht, andere entfernt und die Bodenfruchtbarkeit verändert haben, der von uns so geschätzte „Urwald“ besonders artenreich ist. Wie passt das in das Bild des unberührten und naturnahen Urwaldes? Letztendlich führen diese falschen, teils populistischen Vorstellungen zu einer Polarisierung der Debatte um die Zukunft des Waldes: guter Wald, schlechter Wald, ohne Mensch, mit Mensch. Das ist Unsinn. Zudem wissen wir doch, wie stark wir die Ökosysteme unseres Planeten verändert haben, und sogar das Klima! Die Erderwärmung macht dem Wald zu schaffen, und gerade jetzt braucht er unsere Unterstützung. Selbstverständlich sollten wir auch Teile des Waldes sich selbst überlassen, sich selbst regenerieren oder, wie viele sagen, sich selbst heilen lassen. Aber wenn wir das überall machen, werden wir starke Einschränkungen in der Nutzung in Kauf nehmen müssen. Und auch diese Nutzung des Waldes ist nicht per se schlecht, wir müssen sie nur gut gestalten.

Worin sehen sie die Aufgaben Ihres Instituts innerhalb der bestehenden Forschungslandschaft?

Ich möchte die Verzahnung mit den Ländereinrichtungen stärken. Wir brauchen eine zukunftsorientierte Strategie für die Waldforschung und müssen dazu die Forschungslandschaft besser strukturieren. Das Institut wird in diese Struktur eingebettet sein und an der Forschung zu den Wechselwirkungen von Klima, Störungen durch Sturm oder Dürre und Schäden durch Insekten und Krankheiten beteiligt sein. Wir werden auch dazu beitragen, den Zustand des Waldes besser dokumentieren zu können. Wir wollen zudem Konzepte erstellen, wie wir den Wald durch Stärkung der funktionalen Artenvielfalt resilienter gegenüber dem künftigen Klima machen können. Wir werden dazu mit den bestehenden forstlichen Forschungseinrichtungen in Deutschland und Europa zusammenarbeiten.

Ganz wichtig für die Forschung im Wald sind auch Reallabore für Langzeit-Untersuchungen. Auch hier wird das neue Institut eine Rolle spielen und verschiedene Disziplinen zusammenführen. Denn gerade in den Bereichen zwischen den Disziplinen ist viel Wissenszuwachs möglich. Ich möchte ganz speziell für interdisziplinäre Verknüpfungen sorgen.

Haben Sie ein Beispiel dafür?

Ich arbeite eng mit Experten der chemischen Ökologie zusammen, die sich intensiv mit dem Anziehungspotential von Duftstoffen der Fichte auf die Borkenkäfer befassen. Mir geht es um einen Blick auf das System, also auch um den Baum, und was passiert, wenn Borkenkäfer im Wald auf eine gestresste Fichte treffen. Wie sieht die Interaktion von Baum und Schädling aus, und welchen Einfluss hat die Ökologie des umgebenden Waldes auf diese Interaktion?

Sie sehen das JKI als Vernetzungs- und Koordinierungsstelle für die Waldforschung?

Das hört sich sehr technisch an. Aber ja, viele Institutionen in Deutschland betreiben wertvolle und Wald-ökologisch relevante Forschung, allerdings ist diese enorme Expertise im Moment nicht koordiniert. Hier kann unser Institut zu Synergien beitragen. Auf nationaler Ebene müssen wir weg von projektbezogenen kurzfristigen Förderungen und hin zu Langzeitprogrammen, die Prozesse in Waldökosystemen begleitend untersuchen können. Die Ressortforschung ist dafür prädestiniert, da hier dauerhafte Strukturen vorhanden sind. Wir können dann auch mit anderen Institutionen zusammenarbeiten, die diese Privilegien nicht genießen, und somit alle Kräfte in den Dienst des Waldes stellen.

In den Medien dominieren Katastrophenberichte über den Zustand des Waldes – was eine Fahrt durch den Harz auch bestätigt. Steht es wirklich so schlimm um den deutschen Wald?

Ja, leider. Im Moment glauben oder hoffen viele noch, dass einfache Veränderungen in der Artenzusammensetzung den Wald klimaresilient machen. Stichwort: artenreicher Laubmischwald. Da wir aber vermutlich deutlich über das 1.5 Grad-Ziel bei der Klimaerwärmung hinausschießen werden, wird dies nicht ausreichen. Diese Erkenntnis ist noch nicht bei allen angekommen, nicht in der Bevölkerung, aber auch nicht in allen Bereichen der forstlichen Wissenschaft. Vielleicht braucht es noch einen oder zwei Dürresommer, bis die Dramatik der Situation schließlich allen klargeworden ist und wir gemeinsam nachhaltige Lösungsansätze erstellen können. Ich habe aber keinen Zweifel, dass wir hier auch in Zukunft Wald haben werden. Einige unserer Arten werden mit den neuen Bedingungen klarkommen, andere nicht, und neue Arten werden eine größere Rolle im Wald spielen. Entweder wir warten auf deren Einwanderung – was aber ziemlich lang dauern kann –, oder wir helfen dort nach, wo wir das für sinnvoll erachten. Auf jeden Fall wird der Wald der Zukunft anders aussehen.

Das Aufforsten mit Arten wie der Douglasie, die hier nicht heimisch sind, ist umstritten.

„Heimisch“ ist ein menschliches Konzept. Während und nach der letzten Eiszeit vor ca. 18.000 Jahren war hier überhaupt keine Baumart heimisch. Vegetation wandert und verändert sich mit den klimatischen Rahmenbedingungen über lange Zeiträume. Der menschliche emotionale Horizont hingegen beschränkt sich auf wenige Generationen, und in diesen Zeiträumen passiert normalerweise nicht viel im Wald. Wir denken dann, der Wald sei statisch. Das ist wie mit dem berühmten Pechtropfenexperiment von Thomas Parnell. Wenn man sich das Pech anschaut, scheint da gar nichts zu passieren, denn es vergehen Jahre, bis ein Tropfen fällt. Aber das Pech ist dynamisch, im Inneren tut sich sehr wohl etwas, nur nicht sichtbar innerhalb unserer begrenzten Beobachtungszeit. Ähnlich ist es beim Waldgefüge: Normalerweise verändert sich das Klima und mit ihm der Wald nur sehr langsam. Aber jetzt haben wir im übertragenen Sinne das Pech erhitzt, es wird flüssiger, die Tropfen fallen schneller. Auch der Wald verändert sich nun schnell. Unter diesen Bedingungen kommen wir mit Konzepten wie „heimisch“ nicht weiter. Natürlich sollten wir das System Wald nicht einfach radikal und abrupt umbauen, alle heimischen Baumarten mit Fremdbaumarten ersetzen, aber die Anpassungsfähigkeit vieler hier verbreiteter Arten wird an ihre Grenzen kommen. Da braucht es einen sanften Umbau.

Bei der symbolischen Einweihung Ihres Instituts haben Sie gesagt, wir kennen unsere Baumarten gar nicht. Wie meinen Sie das?

Das beziehe ich zum Beispiel auf die physiologischen Schwellenwerte. Das Absterben der Buche kam für viele als Überraschung. Buchen galten noch vor wenigen Jahren als klimaresilient. Jetzt wird über die Eiche als Zukunftsträger diskutiert, aber kann keiner kann wirklich sagen, wie gut sie mit dem künftigen Klima zurechtkommt und ob sie, wie die Buche, in einigen Jahren als Kandidat wegfällt. Wann zum Beispiel bei großen Bäumen durch abfallende Saugspannung die gelösten Gase im Wasserstrom austreten und einen hydraulischen Ausfall erzeugen, ist Gegenstand jüngster Forschung. Bisher mussten wir uns damit nicht auseinandersetzen, es lief alles nach Plan, Erfahrungswerte dienten für die Planung der Zukunft. Das ist jetzt vorbei. Wir brauchen physiologische Schwellenwerte, um besser einschätzen zu können, wie robust unsere Arten wirklich sind, und um damit Vegetationsmodelle für Vorhersagen zu verbessern.

Sie sehen also Schwerpunkte Ihres Instituts auch bei Datenerfassung und Modellierung.

Ja, wir müssen zunächst wissen und verstehen, was im Wald wo passiert, wie der Wald auf das Klima reagiert. Unser Kenntnisstand hierzu ist eher sporadisch und häufig anekdotisch. Hinzu kommt die Forschung zu den physiologischen Prozessen, die ich angesprochen habe. Diese Welten werden wir zusammenführen, um in die Zukunft projizieren zu können. Das ist unsere Kristallkugel und wahrscheinlich die beste Möglichkeit, heute die Zukunft von morgen planen zu können.

Es geht Ihnen also nicht darum, einzelne Krankheiten zu verstehen und die betroffenen Arten davor zu schützen?

Doch, natürlich auch. Aber wir rennen oft hinterher, denn neue Krankheiten und Schadinsekten werden eingeschleppt, und bereits vorhandene entwickeln sich zu Epidemien von bisher ungekannten Ausmaßen. Wir brauchen das Verständnis von Komplexkrankheiten und von Insektenschäden, um über unsere Arten und über den Wald zu lernen, aber wir müssen auch weiter vorausdenken. Welche Möglichkeiten haben wir, damit der Wald auch bei 2,5 oder 3 Grad Erwärmung noch seine ökologischen und wirtschaftlichen Aufgaben erfüllen kann? Waldschutz wird komplexer werden und mit dem Waldbau enger verschmelzen, als das in der Vergangenheit der Fall war.

Im Kontext des Klimawandels wird viel über die Rolle der Tropenwälder diskutiert. Das JKI blickt aber vor allem auf den heimischen Wald. Werden Sie mit ihrem Institut eine globale Perspektive beibehalten können?

Ich habe schon seit langer Zeit eine globale Perspektive, angefangen von meinen Studien zum Absterben von Zuckerahorn in Kanada bis zu meiner Funktion als Koordinator der IUFRO-Task-Force zum Monitoring von globalem Waldsterben. Mit dieser Perspektive lässt sich auch das Geschehen hier in Deutschland besser einordnen. Wir folgen nämlich einem globalen Trend, und daher sind Aussagen, die Schäden im Wald wären der Forstwirtschaft und nicht dem Klimawandel geschuldet, unsinnig. Auch in den naturnahen Wäldern Kanadas, die nicht intensiv forstlich bewirtschaftet werden, haben Borkenkäfer in den letzten Jahren Millionen Hektar Wald vernichtet. Diese Dynamiken kann man eindeutig auf die Erderwärmung zurückführen, da waren keine bösen Förster am Werk. Der Blick über den Tellerrand würde auch hier so manchem Fernsehförster guttun, der sich mit polarisierenden Aussagen in den Medien Sichtbarkeit verschafft. Es gibt keine einfachen Lösungen für komplexe Probleme, ein Blick über Deutschlands Grenzen hinweg zeigt diese Komplexität. Grenzen kennt der Wald ohnehin nicht.

Lieber Herr Hartmann, wir danken Ihnen für das Gespräch und wünschen Ihnen weiter viel Erfolg am JKI. (Das Gespräch führte Johannes Kaufmann, Pressereferent am JKI, im März 2023)