Inhalt: 70 Jahre Biologischer Pflanzenschutz in Darmstadt: Wie alles begann und sich entwickelte
Deutschlandweit einzigartiges Fachinstitut unter dem Dach des Julius Kühn-Instituts (JKI) feiert Jubiläum
Schuld ist der Kartoffelkäfer, dessen Einschleppung nach Europaim 19. Jahrhundert und die erheblichen Bemühungen bereits vor dem 2. Weltkrieg, seine Ausbreitung zu verhindern (Stichwort: Kartoffelkäfer-Abwehrdienst). 1948 wurde aufgrund eines Vorschlags der damaligen Biologischen Zentralanstalt (heute Julius Kühn-Institut) und der Zustimmung des Wirtschaftsrat in Darmstadt das „Institut für Kartoffelkäfer-Forschung und –Bekämpfung“ gegründet. Bereits 4 Jahre später regte der Deutsche Bundestag eine Umbenennung in „Institut für Kartoffelkäfer-Forschung und biologische Schädlingsbekämpfung“ an. Das Forschungsprogramm besagte, dass biologische Verfahrenzur Bekämpfung schädlicher Insekten und Milben entwickelt werden sollten. Geleitet von Dr. Drees und wenigen Mitarbeitern wurde im kriegszerstörten Darmstadt das Fundament der biologischen Pflanzenschutzforschung in Deutschland gelegt.
In den 1950er Jahren erfolgte der weitere Aufbau des Instituts in der Oetinger Villa in Darmstadt und die thematische Ausweitung der Forschungsarbeiten. Die fünf Wissenschaftler betraten damals in den meisten Bereichen unerforschte Gebiete und leisteten mit enormen Elan Pionierarbeit. So gelang ihnen 1954 der erste erfolgreiche Freilandversuch in Europa, bei dem Insektenviren zur Bekämpfung der Roten Kiefernbuschhornblattwespe eingesetzt wurden.
Prof. Jost Franz, der an natürlichen Feinden von Forstschädlingen forschte und zu jener Zeit international ungewöhnlich gut vernetzt war, leitete das Institut von 1953 bis 1980, ganze 27 Jahre lang. Unter seiner Ägide erfolgte 1955 die Umbenennung in „Institut für biologische Schädlingsbekämpfung“. Seit dieser Zeit, also lange vor der Ökobewegung, erforscht und untersucht das Institut ausschließlich biologische Verfahren und ist bis heute das einzige staatliche Fachinstitut in Deutschland mit dieser Spezialausrichtung.
Mit dem Umzug Ende 1971 an den derzeitigen Standort in der Darmstädter Heinrichstraße vergrößerte sich das Institut auch personell und konnte so die Forschung intensivieren und sich gleichzeitig stärker der Umsetzung der Methoden in die Praxis zuwenden. Jetzt arbeiteten 9 Wissenschaftler und 18 technische Mitarbeiter vor allem an der Diagnose von Insektenkrankheiten, der Massenzucht von nützlichen Gegenspielern und der Erforschung von Bakterien-, Pilz- und Viruskrankheiten zur biologischen Bekämpfung von Schaderregern.
1972 publizierten der Institutsleiter Prof. J. Franz und der Wissenschaftler Dr. A. Krieg erstmals im deutschsprachigen Raum ein Buch zu allen bekannten Facetten der Biologischen Schädlingsbekämpfung. Zwei weitere Auflagen folgten sowie 1989 ein Lehrbuch zum Thema.
Mit dem neuen Leiter Prof. Dr. Fred Klingauf (1980 – 1988) erweiterten sich die Forschungen auch auf die Wirkung von Pflanzeninhaltsstoffen auf Schadorganismen. Von 1988 bis zu seinem Ruhestand im Jahr 2001leiteteKlingaufdann als Präsident die Geschicke der gesamten Biologischen Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft(BBA), zu der das Institut gehörte. Seinen Platz als Institutsleiter in Darmstadt nahm Dr. Jürg Huber ein. Da es am Institut inzwischen auch um die biologische Bekämpfung von Pflanzenkrankheiten geht, trägt es seit 1991 den jetzigen Namen „Institut für Biologischen Pflanzenschutz“. Allerdings wurde 2008 aus der „Mutter“ organisation BBA nach einer vom Bundeslandwirtschaftsministerium durchgeführten Reorganisation das heutige Julius Kühn-Institut, Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen.
Seit dem Jahr 2010 leitet Prof. Dr. Johannes Jehle das Darmstädter Institut. In seine Amtszeit fällt erneut eine große Veränderung: Ein großer Neubau am JKI-Standort Dossenheim (bei Heidelberg)läutet das Ende der Darmstädter Ära des Fachinstituts ein. Voraussichtlich ab 2021 werden die für Deutschland einmaligen Forschungsarbeiten in neuen Räumen weitergeführt und so dem biologischen Pflanzenschutz neue Möglichkeiten eröffnet.
Viele am Institut erforschte und entwickelte Verfahren sind inzwischen unverzichtbar in der Pflanzenschutzpraxis.
Anlässlich des Jubiläumskolloquiums am 8. November 2018 in Darmstadt wird das JKI neben einer Presseinformation zur Forschungshistorie des Institutsschlaglichtartig einzelne Meilensteine der Institutsforschung beleuchten.
Meilensteine der 70-jährigen Forschung
Klein, aber fein, innovativ, forschungsintensiv und praxisnah: so kann die Arbeit des JKI-Fachinstituts für Biologischen Pflanzenschutz bezeichnet werden, das nunmehr seit 70 Jahren daran forscht, Schädlinge und Krankheiten an Kulturpflanzen wie Kartoffeln, Gemüse oder Obst in Schach zu halten. Die Mittel der Wahl sind dabei Pilze, Viren oder Bakterien, natürliche Gegenspieler wie Florfliegen oder Schlupfwespen, Pflanzenextrakte oder andere nicht-chemische Verfahren.
„Es ist das einzige Forschungsinstitut in Deutschland, das sich ausschließlich dem biologischen Pflanzenschutz mit allen seinen Facetten widmet. Vor dem Hintergrund der kritischen Bewertung des Pflanzenschutzes in der Gesellschaft wird es auch in Zukunft sicher einen besonderen Stellenwert einnehmen“, so JKI-Präsident Dr. Georg F. Backhaus über das in Darmstadt angesiedelte Fachinstitut unter dem Dach des JKI. Das Institut ist eines von 17 Fachinstituten des Julius Kühn-Instituts (JKI), das als Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) zugeordnet ist.
Prof. Dr. Johannes Jehle, der jetzige Leiter des Fachinstituts, macht rückblickend auf 70 Jahre Forschung klar, dass ein langer Atem nötig ist, wenn man Kulturpflanzen gezielt ohne Chemie vor Krankheiten und Schädlingen schützen will. „Wir sind stolz darauf, dass unser Institut bis heute wissenschaftliche Pionierleistungen erbringt. Viele Erfolge bei der Entwicklung biologischer Mittel und Verfahren sind maßgeblich auf Forschungen des Instituts zurückzuführen bzw. wurden konzeptionell von unseren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern begleitet“, sagt Jehle. Viele Arbeitsgebiete sind geblieben, weitere Fragestellungen hinzugekommen. So zum Beispiel, welche Wirkmechanismen und Interaktionen den biologischen Verfahren zugrunde liegen oder aktuell Untersuchungen zur funktionellen Biodiversität natürlich vorkommender Gegenspieler.
Jehle schaut positiv in die Zukunft, ist aber auch selbstkritisch: „Biologische Mittel wirken anders. Oft sind sie nur selektiv und kurz wirksam. Dieser Vorteil für Mensch und Umwelt ist leider der Grund dafür, dass Firmen, die sich auf solche Mittel spezialisieren, nur kleine Märkte erschließen können. Das birgt das Risiko, das aufgrund der sehr hohen Kosten für eine Zulassung viele Verfahren oder Mittel nicht bis zur Marktreife geführt werden. Einige biologische Substanzen wirken außerdem nur indirekt bzw. mehrere Mechanismen wirken zusammen, ein Umstand, der eine Zulassung nicht leichter macht.“ 70 Jahre Kontinuität gilt es zu feiern: Am 8. November werden vergangene Erfolge, heutige Arbeiten und künftige Herausforderung während eines Festkolloquiums beleuchtet.
Publikationen zur Geschichte des Instituts
Beides zum Download verfügbar unter
Die spannende Geschichte der Einschleppung und Verbreitung des Kartoffelkäfers in Mitteleuropa und das jahrzehntelange enorme Bemühen der Aufklärung der Bevölkerung und dessen Bekämpfung sind dargestellt in: „Mitteilungen aus der Biologischen Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft, Heft 341, Berlin 1998: 100 Jahre Pflanzenschutzforschung – Der Kartoffelkäfer in Deutschland“
Die Geschichte des Instituts von 1948 – 1998 mit zahlreichen Beispielen aus seiner erfolgreichen Arbeit findet sich in „Mitteilungen aus der Biologischen Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft, Heft 344, Seite 65 – 79, Berlin 1998
Einsatz biologischer Verfahren und Mittel in der Praxis
Das Institut für Biologischen Pflanzenschutz erhebt regelmäßig Daten aus der Praxis. Sie finden diese in dem regelmäßig aktualisierten „Statusbericht Biologischer Pflanzenschutz“ des JKI-Instituts. (der letzte Bericht steht als Download zur Verfügung.
https://ojs.openagrar.de/index.php/BerichteJKI/issue/view/1782.
Was zählt zum Biologischen Pflanzenschutz?
Nützlinge (d.h. Makroorganismen) wie Insekten, Milben oder Fadenwürmer. Wie und wann sie kommerziell verwendet werden dürfen, wenn sie nicht heimisch sind, regelt das Bundesnaturschutzgesetz.
- Entomopathogene Viren, Bakterien oder Pilze (d.h. Mikroorganismen)
- Pheromone (sog. Semiochemicals)
- Botanicals (Naturstoffe)
Außer den Nützlingen benötigen die anderen Stoffe eine Genehmigung und Zulassung nach den aktuellen EU-Richtlinien (derzeit 1107/2009 EU) und dem deutschen Pflanzenschutzgesetz.